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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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ist echter Mist.» Er schwieg einen Moment, und nur das Rauschen in der Leitung war zu hören.
« Wir warten auf die DNA-Analyse. Und ich bin gespannt, was die Jungs in Marquettes Hotelzimmer in Orlando finden. Wir dürfen uns keinen Fehler erlauben. Im Moment sieht es gut für uns aus. Sobald es zu einer Verhaftung kommt, wird sich die Presse auf den Fall stürzen. Ich will am Ende nicht wie ein Esel dastehen, weil wir überstürzt gehandelt haben.»
« Wenigstens wissen wir, wo Marquette ist, und vorläufig wird er sich wohl kaum von der Stelle rühren», sagte sie.
« Das kann sich schnell ändern. Und bevor er uns im Rollstuhl davonfährt, will ich einen Haftbefehl gegen ihn haben.» Rick hielt inne und fuhr dann mit weicherer Stimme fort:
« Wie hast du den Tatort deines ersten Mordfalls verkraftet?»
« Es war furchtbar», erwiderte Julia leise und fragte sich, ob Lat ihm die peinlichen Details ihres kleinen Zusammenbruchs geschildert hatte. Es war unerträglich, hätte sie am liebsten gesagt. Dabei sollte ich von allen Leuten wohl am besten darauf vorbereitet sein ... Vor ihr auf dem Schreibtisch lag das Tonband, das Latarrino ihr gegeben hatte, eine Kopie der Notrufaufzeichnung von Sonntagmorgen. Gedankenverloren fuhr sie mit dem Finger darüber.
« Ich frage mich immer wieder, warum er das getan hat.»
« Überlass das Latarrino und Brill. Sie finden schon ein Motiv. Es gibt immer eins.» Julia hörte einen Rums am anderen Ende der Leitung, dann war es einen Moment lang still.
« Tut mir leid. Ich bin gerade zu Hause angekommen», erklärte er.
« Machst du auch bald Feierabend?»
« Ja», sagte sie.
« Ich muss noch mit dem Hund raus. Wenn er überhaupt noch mit mir redet.»
« Gut, dass ich eine Katze habe. Hör mal, ich bekomme gerade einen anderen Anruf rein. Lass uns morgen früh beim Kaffee weiterreden.»
« Okay, gute Nacht», sagte Julia und legte auf, bevor Rick noch etwas sagen konnte. Sie hasste neue Beziehungen. Sie hasste es, wie sie sich gerade fühlte, unsicher wie ein Teenager, der sich in den Footballstar der Schule verliebt hatte. Oder in den Footballtrainer. Rick schuldete ihr keinen Anruf oder auch nur ein Abschiedswort, wenn er abends nach Hause ging – es gab noch keine Erwartungen, die er enttäuschen konnte. Doch sie hasste es einfach, dauernd an jemanden denken zu müssen, der nicht an sie dachte. Sie stellte die Aktentasche auf den Boden, legte die Kassette noch einmal in den Recorder und drückte auf die Abspieltaste. Ein leises Knistern ertönte, bevor die Aufnahme begann. Ein Tuten signalisierte den Anfang des Anrufs.
« Notrufzentrale. Um was für einen Notfall handelt es sich?» Schweigen. Nur leises Atmen in der Leitung
« Hier ist der Notruf neun-eins-eins. Haben Sie einen Notfall zu melden? ... Hören Sie, Sie haben neun-eins-eins gewählt. Möchten Sie einen Notfall melden?» Wieder Schweigen. Dann plötzlich mit zaghafter Stimme:
« Helfen Sie uns, bitte.» Julia schloss die Augen. Sie war wieder in dem Haus, roch den Gestank, sah die Blutspritzer an den Wänden, auf dem Teppich, überall. Es gab Ecken und Winkel, die selbst eine Putzkolonne nicht sauber bekam, Stellen, wo das Blut einsickerte und sich festsetzte, in Wände und Böden drang und schließlich zum Teil des Gebäudes wurde. Und wenn die Sonne unterging und die Lichter gelöscht wurden, hörte man immer noch die Schreie, die für immer in den Mauern gefangen waren. Egal, wie gründlich man schrubbte, sie wusste, dass das Blut und die Schreie nie mehr rausgingen. Das Haus würde für immer ein Totenhaus sein.
« ... Ich helfe dir, Kleines. Aber du musst mir genau sagen, was passiert ist.»
« Ich glaube, er kommt zurück.»
« Wer kommt zurück? Bist du verletzt? Wie heißt du?» ... Die kalte Luft drückte ihr auf den Brustkorb. Sie atmete den Tod ein, spürte, wie er ihre Lungen füllte. Er machte ihr Seitenstechen, ab sie über den gefrorenen braunen Rasen lief, über vereiste Pfützen, schneller und schneller auf das zweistöckige Haus zu. Obwohl sie nicht sehen wollte, was sie darin erwartete, was sich hinter all den blinkenden blauen und roten Lichtern verbarg, rannte sie, so schnell sie konnte. Sie wusste, dass sie schnell sein musste, um an den Polizisten vorbeizukommen, denn sie würden versuchen, sie aufzuhalten ...
« ... Wer kommt zurück? Ist jemand verletzt? Braucht ihr einen Arzt?»
« O nein, nein ... Daddy, nein!» Julia drückte die Stopp-Taste und öffnete die Augen. Sie war wie betäubt.

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