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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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isst viel zu viel aus dieser Mikrowelle, Julia. Davon bekommt man Haarausfall und schuppige Haut, und es ist krebserregend. Die Leute haben es so eilig heutzutage, dass sie sich mit der Mikrowelle noch ins Grab garen. Eine Schande. Habe ich dir erzählt, dass letzten Freitag wieder eine von uns das Zeitliche gesegnet hat?» Das Durchschnittsalter der Bewohner von Tante Noras Apartmentanlage war 85. Mit 60 und 64 waren ihre Tante und ihr Onkel die jungen Hüpfer, die den Durchschnitt drückten. Alle paar Wochen segnete jemand das Zeitliche.
« Was? Moose ist bei euch?»
« Jimmy ist auf dem Rückweg von der Rennbahn bei dir vorbeigefahren und hat ihn auf einen Spaziergang mitgenommen. Du kennst doch Jimmy und Moose.»
« Und aus dem Spaziergang ist ein Übernachtungsausflug geworden?» Wenn Julia viel arbeitete, nahmen Nora und Jimmy Moose zuweilen mit. Seit Jimmy in Rente war, ging er gern mit Moose im Park oder auf der Hollywood-Beach-Promenade spazieren, wenn er nicht gerade den Tag auf der Rennbahn verbrachte oder ihrer Tante auf die Nerven fiel. Julia wohnte zwanzig Minuten südwestlich von Fort Lauderdale und zwanzig Minuten nordwestlich der Gulfstream-Rennstrecke – im Epizentrum der Aufregung, wie es der Bürgermeister von Hollywood gern ausdrückte. Tante Nora hatte den Verdacht, dass Jimmys ausgedehnte Spaziergänge bis Broward County unter anderem mit der Aufmerksamkeit zusammenhingen, die Moose bei einsamen Hundesittern und Mädchen in Bikinis erregte, denn daheim brachte Jimmy nicht mal den Müll runter, ohne zu murren. Gelegentlich nahm er Moose dann einfach mit nach Hause. Nicht, dass Moose etwas dagegen hätte – in Fort Lauderdale war das Essen viel besser, und auch die Aussicht von Onkel Jimmys Ohrensessel war hübscher als der Bhck auf die Aktenberge auf Julias Fußboden.
« Was hast du? Du fütterst ihn ja nicht», jammerte ihre Tante.
« Armes Kerlchen.»
« Er soll kein Menschenessen essen, Tante Nora. Keine Lasagne.»
« Von mir hat er keine Lasagne bekommen.»
« Gut.»
« Ich habe Ravioli gemacht. Komm vorbei, bevor dein kleiner Hund alles aufisst und sich in eine Dänische Dogge verwandelt. Er ist ganz süchtig nach Peperoni.» Julia verzog das Gesicht.
« Oh, nein. Bitte gib Moose keine Peperoni. Davon juckt ihm der Po.» Sie wusste, wie es aussah, wenn ein traurig dreinblickender Moose den Moonwalk machte und jaulend mit dem Hintern über den Teppich rutschte. Vielleicht sollte sie ihn lieber die ganze Nacht bei ihrer Tante lassen.
« Zu spät. Er hat gebettelt, und Jimmy hat nachgegeben, der Feigling. Es reicht nicht mal mehr für Peperoni-Hühnchen, wenn ich heute Nacht nicht nochmal zum Supermarkt will.» Tante Nora war eine richtige Nachteule, immer schon. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass sie als Kind mit der Taschenlampe unter der Decke Comic-Hefte gelesen hatte. Als Teenager in Sheepshead Bay, einem Teil von Brooklyn, brachte Nora Julias Mutter bei, wie man in Stöckelschuhen die Feuerleiter herunterkletterte. Heute waren es nicht mehr Comics oder Kneipen, sondern das Kochen, mit dem Nora sich die Nächte um die Ohren schlug. Wahrscheinlich sah sie deshalb aus wie ihr eigenes Lieblingsgericht: Gnocchi. Weich und rund und klein und gekrönt von einem roten Lockenschopf, der aussah wie Tomatensoße. Aus irgendeinem Grund verspürte sie die meiste Inspiration am Herd zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens – dann bereitete sie blechweise Auberginenrollatini zu, selbstgemachte Manicotti und Osso buco, das einem auf der Zunge zerging. Während andere Menschen schnarchend im Bett lagen, maß Tante Nora Ricotta für den Käsekuchen ab, setzte Brotteig an, füllte Teigtaschen
« Stromboli» mit Broccoli und Wurst. Sie war eine echte Bilderbuch-Italienerin, auch wenn sie in Wirklichkeit deutsch-irische Wurzeln hatte, was sie heute nicht mehr zugeben würde. Onkel Jimmy war der mit den neapolitanischen Wurzeln und dem Stammbaum, an dem man lieber nicht allzu fest rüttelte.
« Es ist schon spät», versuchte Julia einzuwenden.
« Vielleicht behaltet ihr Moose einfach über Nacht bei euch, und ich hole ihn morgen nach der Arbeit ab.»
« Im Leben nicht. Er hat jetzt schon Blähungen. Für einen so kleinen Hund macht er ganz schön viel Wind. Deswegen ist er drüben bei Jimmy, und ich bin hier. Die zwei Strolche haben einander verdient.»
« Tante Nora, bitte keine Details.» Lachend stellte Tante Nora den Mixer wieder an.
« Komm und hol deinen Pinscher ab, Kleines. Er vermisst dich.

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