Vater unser
bestimmt zehnmal Ricks Nummer ins Telefon getippt, aber letzten Endes hatte sie doch nicht angerufen. Rick war also nicht ganz allein dafür verantwortlich, dass sie nicht miteinander telefoniert hatten. Immerhin hatte sie verstanden, dass eine heiße Nacht nicht für eine regelmäßige Samstagabendunterhaltung sorgte. Vielleicht änderten sich die Regeln für Verabredungen, wenn man die vierzig überschritten hatte. Vielleicht war es ganz normal, dass man miteinander ins Bett stieg und anschließend wieder zur Tagesordnung überging.
« Ich suche gerade ein Pflegeheim für meinen Vater», sagte Rick und starrte in seine Kaffeetasse.
« Damit habe ich das Wochenende zugebracht.»
« Oh», stieß Julia hervor.
« Alzheimer. Tja, so spielt das Leben.» Er zuckte mit den Schultern. Julia wurde von Schuldgefühlen überwältigt.
« Das tut mir leid. Das wusste ich nicht», stammelte sie.
« Hast du denn eines gefunden?»
« Noch nicht. Es ist ein langer Prozess, und meine Mutter macht es nicht besser. Sie will unbedingt selbst für ihn sorgen, auch wenn es bedeutet, dass sie ihn nachts ans Bett fesseln muss, weil er schlafwandelt. Aber das wird schon. Hör mal», sagte er dann und senkte die Stimme. Er tastete unter dem Tisch nach ihrer Hand und drückte sie kurz.
« Ich würde gern wieder mal mit dir essen gehen.» Er zögerte.
« Es war wirklich schön. Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber ich habe dich vermisst.» Julia spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Sie wünschte, ihr würde eine geistreiche oder schlagfertige Antwort einfallen. Eine Antwort, die nicht verriet, wie erleichtert sie war, dass Rick das Wochenende nicht mit einer anderen Frau verbracht hatte. Aber sie sagte nichts, sondern nickte bloß und lächelte. Zu spät merkte sie, dass ihr Lächeln alles preisgab, was sie vor Rick hatte verbergen wollen.
« Wissen wir eigentlich schon, welchen Richter wir bekommen?», fragte sie verlegen und stand auf. Rick lachte mit blendend weißen Zähnen.
« Oje. Vielleicht solltest du dich nochmal setzen.» Julias Handflächen wurden feucht. Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel offen, um welchen Richter es sich handelte.
« Bitte sag jetzt nicht, es ist der, an den ich denke», sagte sie und sank zurück auf den Stuhl.
« Sag, dass es Henghold ist. Oder Gibbons. Oder irgendein anderer.» Rick schüttelte bloß den Kopf.
« Tut mir leid.» Julia seufzte und sank zurück auf ihren Stuhl.
« Es ist Farley, nicht wahr?» Er lächelte.
KAPITEL 23
S CHAU MICH an!», rief Emma quietschend, während sie in ihrem glitzernden blau-weißen Prinzessinnenkleid in der Küche um die eigene Achse wirbelte. Es war das Kleid, das Jennifer ihr vor wenigen Monaten bei dem Ausflug nach Disney World gekauft hatte. Den Kassenbon hatte sie aufbewahrt, in einem Umschlag mit der Aufschrift « Kreditkartenabrechnungen», ordentlich archiviert in einer Schreibtischschublade, wo die Detectives ihn schließlich fanden. Emma hatte das Kleid über ihren Pyjama gezogen, in der Nacht, in der sie ermordet wurde. Die Detectives vermuteten, dass sie es heimlich anzog, nachdem ihre Mom sie ins Bett gebracht hatte.
« Mommy! Schau doch!», rief sie wieder.
« Bist du aber hübsch», sagte Jennifer Marquettes weiche Stimme aus dem Off. Die Kamera schwenkte durch die Küche zu der attraktiven blonden Frau hinter der Küchentheke. Sie hatte einen Schokoladenkuchen vor sich stehen und hielt einen Löffel mit Glasur in der Hand.
« Aber mach es nicht schmutzig, Emmi. Wir brauchen es noch für das Schulfest und Halloween. David, bitte», sagte sie dann und schüttelte den Kopf, als sie die Kamera bemerkte.
« Halt das Ding auf Emma.» Folgsam schwenkte die Kamera wieder durch den Raum.
« Wenn ich mich drehe, fliegt es», rief Emma. Sie machte eine Pirouette und sang dabei einen Popsong, den Julia nicht gleich erkannte. Vielleicht etwas von Hillary Duff oder Christina Aguilera. Emmas langes blondes Haar war zu einem Bauernzopf geflochten, der auf ihrem Rücken hin und her hüpfte. Julia sah, dass sie versuchte, sich den Zopf über die Schulter zu schleudern – als Kind hatte Julia das Gleiche getan. Das Baby lag in einem Tragekörbchen auf der Küchentheke und fing an zu weinen.
« Sch, sch, Sophie. Ich bin ja gleich fertig. Mommy ist gleich bei dir», sagte Jennifer, und die Erschöpfung war ihr anzuhören. Plötzlich sprang ein kleiner barfüßiger Junge in Windeln und einem verschmierten Supermann-T-Shirt herein.
« Ich hab
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