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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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zum Tode zu verurteilen, wog man erschwerende Umstände mit etwaigen mildernden Umständen ab. Auch wenn Rick es noch nicht offiziell gemacht hatte, kannte Julia die Antwort auf die Frage – zweiunddreißig Stichverletzungen und ein eingeschlagener Schädel waren das, was man auf dem Urteilsblatt als
« brutal und abscheulich» bezeichnete. Ebenso, wie die eigene sechsjährige Tochter mitten in der Nacht mit einem Küchenmesser niederzumetzeln. Julia nahm an, Rick hatte wegen der Todesstrafe keine schlaflosen Nächte. Er hatte die meisten Mordfälle in seiner Behörde verhandelt, und er bekam immer, was er verlangte. Elf seiner Angeklagten saßen in der Todeszelle. Drei hatten es bereits hinter sich. Die Rolltreppe rührte vom ersten Stock hinab in die geschäftige, laute Lobby des Gerichts. Julia sah hinunter auf die zwei langen, ungeduldigen Schlangen vor den Metalldetektoren. Fast wie am Flughafen wanden sie sich durch ein Labyrinth von Absperrungspfosten, bis draußen vor der Glastür die Leute im chaotischen Menschenauflauf verschwanden, der unter dem Stahlbetonvorbau aus den siebziger Jahren herrschte. Gelangweilte gleichgültige Wachleute bellten Warnungen, dass alle Taschen durchsucht und alle Waffen konfisziert werden würden. Trotzdem ergänzte jeden Abend eine bunte Auswahl von Messern, Scheren, Schlagringen, Tränengas und gelegentlich eine Schusswaffe die schon beträchtliche Sammlung der Gefängnisbehörde. Ihr Blick schweifte über die Polizisten, die durch eine eigene Schleuse gerührt wurden, und die Anwälte, die mit ihren dunklen Anzügen und dicken Aktentaschen aus der Masse herausstachen. Vor dem Informationsschalter des Gerichts standen die Verwirrten und Verirrten und versuchten herauszubekommen, wo in dem neunstöckigen Irrgarten von Gerichtssälen und Behördenzimmern sie sich einfinden mussten. Die Stammgäste dagegen kannten sich aus und schlenderten entspannt zum richtigen Fahrstuhl oder zur Rolltreppe. Sie hatten sich in Schale geworfen für das Gericht: das beste T-Shirt und die besten zerschlissenen Jeans. Zerzauste Kinder klammerten sich an ihre Mütter und zappelten, stritten und schrien so lange, bis sie angebrüllt wurden oder einen Klaps auf den Hintern bekamen, was wiederum keinen interessierte. Das Gerichtsgebäude war eine Welt für sich, und daran würde sich so schnell nichts ändern.
« Werden die Fuß- und Fingerabdrucke vor der Grand Jury ein Problem sein?» Rick schüttelte den Kopf.
« Die kommen dort gar nicht erst zur Sprache. Und das hat auch seinen Sinn. Nur in Ausnahmefällen wird der Verdächtige durch Beweismittel entlastet; deshalb sind wir nicht verpflichtet, davon zu sprechen. Im Moment sind das bloß ärgerliche Kleinigkeiten, die der Verteidiger später in der Verhandlung zu einer großen Sache aufzublasen versucht. Soll sich Levenson später damit einen letzten Strohhalm basteln.» Rick hatte recht. Trotz des ganzen Aufwandes war es nicht sehr schwer, die Grand Jury dazu zu bewegen, eine Anklage als rechtmäßig anzuerkennen. Schließlich wurde ihr bei der Anhörung nur eine Seite präsentiert – die Seite der Anklage. Es gab keinen Richter, keinen Verteidiger, der Einspruch einlegen konnte. Ein hinreichender Verdacht genügte für die Anklageerhebung, und selbst Beweise, die auf Hörensagen beruhten, waren zulässig. Sie hatten das Bistro im Erdgeschoss erreicht. Rick bestellte zwei Tassen Kaffee und führte Julia zu einem Tisch in einer ruhigen Ecke. Sie bemerkte, dass mehrere Staatsanwälte und Verteidiger ihnen im Vorbeigehen Blicke zuwarfen. Einige zogen überrascht die Augenbrauen hoch, andere schauten eher skeptisch, und Julia fragte sich, an wie vielen Tischen Rick und sie heute Mittag wohl das Gesprächsthema sein würden. Plötzlich fühlte sie sich merkwürdig befangen und dachte daran, dass sie dringend eine Maniküre benötigte und die Absätze ihrer Schuhe ein wenig schief abgelaufen waren. Dinge, die ihr bisher nichts ausgemacht hatten.
« Ich habe Marisol, meiner Sekretärin, mitgeteilt, dass du die Vorvernehmung der Polizisten und Spurensicherungsleute übernimmst, die als Erste am Tatort waren. Du musst nur noch die Termine mit ihr absprechen.» Er setzte sich in eine der Nischen, dann hielt er inne und lächelte.
« Kennst du Marisol eigentlich?» Sie schüttelte den Kopf.
« Ich kenne noch nicht viele der Sekretärinnen bei Major Crimes. Wahrscheinlich haben sie nicht sehr viel Ausgang.»
« Mari kann man gar nicht übersehen, glaub

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