Vater unser
Gelüste.»
« Besonders auf die kleine Schwester seiner Frau», fügte Brill grinsend hinzu.
« Und noch etwas. Das Sperma auf Jennifers Nachthemd stammt von einem anderen», sagte Lat und lehnte sich gegen eines von Ricks Bücherregalen.
« Wie bitte?», fragte Julia verblüfft. Das war das Letzte, womit sie gerechnet hatte.
« Von wem denn?»
« Das ist die Preisfrage», erwiderte Lat und tippte mit dem Stift in seiner Hand abwesend gegen den Buchrücken von Ermittlung bei Sexualverbrechen: theoretische und praktische Einführung.
« Wir haben die Probe sicherheitshalber zweimal überprüft. Seitdem wir aus Philadelphia zurück sind, suchen wir nach dem Gärtner, der unserer verzweifelten Hausfrau die Zeit vertrieben haben könnte, aber bislang will es niemand gewesen sein. Jennifer hatte zwar nicht viele Freundinnen hier, aber die Mütter, mit denen sie auf dem Spielplatz war, wissen von keinem anderen Mann. Anscheinend hat Jennifer sogar über ein viertes Kind nachgedacht. Den Ehemann haben sie allerdings nie kennengelernt.» Julia hatte John Latarrino seit letzter Woche im Gerichtssaal nicht mehr gesehen. Sein dunkelblondes Haar wirkte etwas länger und heller, als sie es in Erinnerung hatte, und diesmal war er glatt rasiert. Er trug Jeans, Turnschuhe und einen schwarzen Rollkragenpullover, unter dem sich sein gutgebauter Körper abzeichnete. Gewohnheitsmäßig fiel Julias Blick auf seine Hand. Er trug keinen Ehering.
« Wurde Jennifer vergewaltigt?», fragte sie.
« Haben wir uns geirrt?»
« Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Außerdem wissen wir nicht, wie alt das Sperma ist. Es könnte seit Tagen, Wochen oder sogar Monaten auf dem Nachthemd sein», erklärte Lat.
« Seit Monaten?», fragte Julia skeptisch.
« Denken Sie an Monica Lewinsky, Jules», warf Brill ein. Sie zog eine Grimasse.
« Falls Sie darauf hinauswollen, dass es doch ein Einbrecher war – es gibt immer noch keine Hinweise auf gewaltsames Eindringen», fuhr Lat fort, der sich an Julias hartnäckige Fragen im Haus der Marquettes erinnerte.
« Wir müssen zwar noch ein paar Leute vernehmen, aber alles deutet auf Marquette: die Lebensversicherung über zwei Millionen Dollar, die aktivierte Alarmanlage, kein gewaltsames Eindringen, die Tochter, die ‹Daddy› schreit, während sie mit der Notrufzentrale telefoniert, und das Messer mit seinen Fingerabdrücken, das in seinem Bauch steckte und eindeutig als Tatwaffe identifiziert ist.»
« Jedenfalls reicht es, damit die Grand Jury der Anklageerhebung zustimmt», sagte Rick und drehte sich in seinem Stuhl zu ihnen um.
« Wahrscheinlich wird die Verteidigung Jennifer Marquette bei der Verhandlung ganz schön durch den Dreck ziehen. Aber selbst, wenn sie ein Verhältnis hatte, heißt das noch lange nicht, dass sie ein schlechter Mensch war. Hallo, Julia», sagte er dann und lächelte ihr zu. Julia hoffte, die anderen im Zimmer durchschauten nicht, dass sie miteinander im Bett gewesen waren. Bevor sie rot wurde, blickte sie zu Boden.
« Ich bin vor Gericht aufgehalten worden», erklärte sie.
« Das habe ich mir gedacht», erwiderte Rick.
« Dieser Richter. Wissen die Jungs schon, wer bei unserem Fall den Vorsitz hat?»
« Wer?», fragte Lat argwöhnisch.
« Len Farley», antwortete Julia niedergeschlagen.
« O Gott», rief Brill lachend.
« Das wird ja immer besser! Zuerst kriegen wir dich, Bellido, und jetzt auch noch diesen alten Sack. Da fragt man sich, wer wohl den Kampf um die Fernsehkameras gewinnt.» Lat fand Brill mit jedem Tag sympathischer. Er gab sich keine große Mühe, sein Lächeln zu verbergen.
« Sehr witzig», sagte Rick.
« Na gut, bringen wir das hier hinter uns, damit wir für die Grand Jury vorbereitet sind. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.»
« Hast du irgendeine Vorstellung, wie Marquettes Verteidigung aussehen wird?», fragte Lat und holte eine Akte aus der Kiste.
« Selbst wenn er bei der Frau Totschlag oder Notwehr ins Spiel bringt, sind da immer noch die Kinder. Ich tippe auf den einarmigen Unbekannten, der die Alarmanlage wieder aktiviert hat, bevor er sich an den eintreffenden Polizisten vorbeischlich», sagte Rick.
« Wenn Mel Levenson von den Spermaspuren erfährt, wird ihm das nur in die Hände spielen. Ein einarmiger Unsichtbarer ohne Stehvermögen», fügte Brill schnaubend hinzu.
« Vielleicht plädiert er auf Unzurechnungsfähigkeit. Levenson ist schon eine ganze Weile dabei», fuhr Rick fort.
« Er probiert gern etwas Unkonventionelles aus, wenn er auf
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