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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Metalldetektor und einer zusätzlichen Absperrung. Auf dem Gang hatte sich eine Gruppe von Schaulustigen versammelt, die den ohnehin überfüllten Korridor verstopfte. Julia war etwas flau zumute. Sie hatte nie viel mit der Presse am Hut gehabt und nie davon geträumt, im Fernsehen aufzutreten, aber jetzt, wo es um ihren Fall ging, bekam sie regelrecht Lampenfieber. Mit Mühe brachte sie ein seriöses Stirnrunzeln zustande und übte im Stillen ihr
« Kein Kommentar» für die letzten Meter vor der Tür. Es war fünf vor neun. Rick war wahrscheinlich noch drüben auf der anderen Straßenseite in seinem Büro, trank Kaffee und las die Zeitung. Er hasste es, im Gerichtssaal herumzusitzen und zu warten, bis die Verhandlung begann. Also musste Julia heute Morgen als erste Vertreterin des Staates an den Kameras vorbei, und sie wollte auf keinen Fall etwas Falsches sagen. Sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Als sie an den Reportern vorbeimarschierte, würdigte keiner von ihnen sie eines Blickes. Im Gerichtssaal herrschte bereits Hochspannung. Wachleute, Anwälte, Polizisten, Angeklagte und Zeugen redeten aufgeregt durcheinander. Heute war nicht nur Marquettes Anklageerhebung angesetzt, und die meisten von ihnen waren wegen eines anderen Falles da. Auf jedem verfügbaren Fleckchen hatte man Fernsehkameras aufgebaut, was die Aufregung weiter anheizte. Steve Brills Einschätzung ihres Richters war vollkommen richtig – Farley hatte kein Problem damit, sich selbst in den Abendnachrichten zu sehen. Wahrscheinlich war er noch backstage und überlegte, wem er heute vor versammeltem Fernsehpublikum den Tag versauen würde. Julia blickte zur Geschworenenbank hinüber, aber die Untersuchungsgefangenen waren noch nicht hereingebracht worden. Sie ließ sich auf der Seite der Staatsanwaltschaft auf einem Platz an der Wand nieder. Karyn unterhielt sich am Podium mit einem anderen Ankläger, und Julia lächelte ihr zu, doch zur Antwort erhielt sie lediglich ein kurzes Nicken. Es fiel ihr schwer, es nicht persönlich zu nehmen, aber seit Karyns Auseinandersetzung mit Rick nach der Ersten Anhörung hatte sich ihr Verhältnis deutlich abgekühlt. Auch wenn sie nicht eng befreundet gewesen waren, war es kein schönes Gefühl, dass ihre Abteilungsleiterin sie plötzlich nicht mehr mochte. Wenigstens hatte sich die potenziell ansteckende Feindseligkeit, vor der Rick sie gewarnt hatte, im Büro noch nicht weiter verbreitet. Andererseits waren sie bis jetzt nur bei der Anklageerhebung und Julias Mitarbeit an dem Fall noch nicht in aller Munde. Was das fehlende Interesse der Neugierigen vor der Tür bewiesen hatte. Nervös blickte sie wieder zur Geschworenenbank, die immer noch leer war. Sie kannte ihn bisher nur von Fotos und der Videoübertragung der Ersten Anhörung, doch in wenigen Augenblicken würde sie Dr. David Marquette in Fleisch und Blut vor sich sehen. Noch nie zuvor war sie so neugierig auf einen Angeklagten gewesen. Und so nervös. So ängstlich. So wütend. Sie spürte, wie das Adrenalin durch ihre Adern schoss. Julia hatte schon viele Mörder gesehen. In Handschellen und Fußfesseln hatten sie nur wenige Schritte entfernt auf der Geschworenenbank oder hinter dem Tisch der Verteidigung gesessen. In den Gerichtssälen von Miami war das kein seltener Anblick. Aber obwohl sie bereits mehr als genug böse Menschen auf der Welt gesehen hatte, musste sie jedes Mal genau hinsehen, wenn ein Mörder in den Saal oder auf das Podium trat. Sie hatte das makabere Bedürfnis, die Person anzustarren, die einer anderen das Leben genommen hatte. Um zu sehen, ob es noch etwas Menschliches gab in diesen Augen. Irgendwie erwartete sie, dass die Angeklagten – die Mörder – etwas Spezielles an sich haben müssten. Ein Mal oder Zeichen – irgendetwas, woran man sie sofort erkannte. Aber so war es nicht. Die wenigsten Täter waren so groß und böse wie die Taten, die sie begangen hatten – meistens war es einfach nur erschreckend, wie vollkommen normal ein Killer aussehen konnte. Julia hörte, wie sich vor dem Gerichtssaal ein Tumult erhob und die Reporter jemanden mit Fragen bestürmten. Kurz darauf betraten Dr. Alain Marquette und seine Frau den Gerichtssaal, gefolgt von Mel Levenson und Stan Grossbach. Dr. Marquette hatte den Arm schützend um seine Frau gelegt und setzte sich mit ihr in die erste Reihe. Sie hielt den Kopf gesenkt, doch die blaue Färbung um ihre geschwollenen Augen und das weiße Pflaster auf der Nase waren nicht

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