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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Geld, findest vielleicht einen guten Mann ... Ich mache mir schreckliche Sorgen um dich, jeden Tag. Du bist zwar erwachsen und musst selbst entscheiden, was du mit deinem Leben anfängst, aber» – sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern –
« ich möchte, dass du die Finger von diesem Fall lässt. Ich habe darüber gelesen. Bitte, ich flehe dich an. Er ist zu nah dran, Julia. Er bringt nur –» Sie suchte nach dem richtigen Wort. Einem Wort, das ein ganzes Leben voller Tränen und Einsamkeit, Albträume und gestohlener Erinnerungen beschreiben konnte.
« Er bringt nur – Verzweiflung.» Julia biss sich auf die Lippen und blinzelte die Tränen fort, die ihr in die Augen traten. Sie nickte und wandte sich schnell ab, damit ihre Tante nichts bemerkte. Dann trug sie die Salatschüssel ins Esszimmer. Tante Nora hatte keine Ahnung, wie recht sie hatte.
KAPITEL 28
    A LS DIE Digitalanzeige des Weckers von 3 Uhr 59 auf 4 Uhr 00 sprang, gab Julia auf. Es war sinnlos, weiter mit geschlossenen Augen zu warten; der Schlaf würde heute Nacht nicht zurückkommen. Im Dunkeln stand sie auf, warf sich den Morgenmantel über und tappte in das kalte Wohnzimmer. Während sie ihr Haar zu einem Knoten schlang, blickte sie aus dem Fenster. Ihre Haut war feucht, weil sie wieder geschwitzt hatte, und sie schlang den Morgenmantel enger um sich. Unten begann die Sprinkleranlage gerade, den Rasen und die verschlungenen Fußwege zu wässern, die zu den verschiedenen zu dem Komplex gehörenden Gebäuden führten. Der Himmel war schwarz, die Straße menschenleer. Julia ging in die Küche und setzte Teewasser auf. Dann kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und sank auf die Couch. Sie beneidete Moose, der in ihrem Bett irgendwo unter der Decke lag und tief und fest schlief. Julia hasste es, darauf zu warten, dass die Welt um sie endlich erwachte. In den ersten Jahren bei Tante Nora und Onkel Jimmy war es am schlimmsten gewesen. Mit Glück schlief sie drei oder vier Stunden. Doch die meiste Zeit starrte sie aus dem Fenster auf die leere Straße und sah zu, wie betrunkene Nachbarn nach Hause kamen und andere zur Arbeit aufbrachen, lange bevor die Sonne aufging. Nacht für Nacht sah sie zu, wie aus Winter Frühling wurde, aus Frühling Sommer, aus Sommer Herbst, aus Herbst wieder Winter. Und jede Nacht wünschte sie, sie wäre einer dieser Nachbarn, mit einem anderen Leben, mit anderen Sorgen. Sorgen, die manchmal vielleicht schwer, ja, verheerend schienen. Aber Julia wusste, dass sie es nicht waren. In manchen Nächten, wenn die Einsamkeit und der Schmerz sie zu überwältigen drohten, schlich sie sich hinaus und wanderte trotzig durch die fremden Straßen von Staren Island oder nahm die Fähre nach Manhattan, in der Hoffnung, irgendein Räuber oder Vergewaltiger oder Mörder würde sie rinden und endlich tun, was sie selbst nicht fertigbrachte. Doch der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Jetzt starrte sie auf den schwarzen Fernsehschirm und rieb gedankenverloren die Füße aneinander. Albtraumhafte Bilder schossen ihr durch den Kopf und jagten ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Sie kniff die Augen zu und kämpfte mit den Tränen und ihren Erinnerungen, die immer wieder aufbrachen wie eine eitrige Wunde.
    « Julia? Julia? Wach auf.» Sie hörte die Worte, aber sie klangen so weit entfernt – zu weit, um real zu sein. Julia vergrub den Kopf im Kissen und streckte die Hand nach der Person aus, die ihren Namen gerufen hatte. Doch der Abstand zwischen ihnen schien sich mit jeder Sekunde zu vergrößern. Sie blinzelte und versuchte, das Gesicht der Person zu erkennen, das nur ein verschwommener Schatten war. Erst als sie die kalten Hände auf den Schultern spürte, die sie wach rüttelten, verstand sie, dass die Stimme kein Traum gewesen war. Du musst aufstehen, Julia.» Ihre Augenlider waren schwer wie Blei, und es kam ihr vor, als sei sie erst vor wenigen Minuten eingeschlafen. Das Zimmer war eiskalt, und sie erinnerte sich, dass Schnee angekündigt war. Langsam öffnete sie die Augen. Der Mond schien auf die kahlen Äste der Ulme vor dem Fenster. Wie viel Uhr war es? War morgen nicht Sonntag? Dann musste sie erst um zehn wieder zu Hause sein. Julia blinzelte, setzte sich auf und sah hinüber zum Bett ihrer besten Freundin Carly. Carly kaute auf einer Strähne ihres braunen Haars herum und sah schnell weg, als sich ihre Blicke kreuzten. Sie wirkte irgendwie – ängstlich. Mrs. Hogan, Carlys Mutter, stand über Julias Bett gebeugt, in Nachthemd und

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