Vaterland
stapelte s ie links neben sich. »Einladung zu einem Empfang des italienischen Botschafters: langwe i lig. Konferenz, die Walter Darre in s Landwirtschaftsmini s terium einberufen hat: sehr lan g weilig ... So machte er etwa zwei Minuten langweiter, während März dastand un d zusah und sich nervös die Faust in die Handfläche bohrte. Dann erstarrte Halder plötzlich. »O Scheiße!« Er las es noch mal und blickt e dann auf. »Die Einladung von Heydrich. Übe r haupt nicht langweilig, fürchte ich. Überhaupt nicht lan g weilig.«
VIER
Im Himmel herrschte Chaos. Sternennebel explodierten. Kometen und Meteore sausten über den Himmel, ve r schwanden für eine n Augenblick und explodierten dann vor einem grünen Wolkenozean.
Über dem Tiergarten näherte sich das Feuerwerk seinem Höhepunkt. Fallschirmleuchten erhellten Berlin wie bei einem Luftangriff.
Als März in seinem Wagen wartete, um nach links Unter den Linden einbiegen zu können, schlingerte ihm eine Bande SA-Männer vo r den Bug. Zwei von ihnen führten, die Arme umeina n dergeschlungen, in den Strahlen seiner Scheinwerfer einen betrunkenen Canca n auf. Die anderen trommelten auf die Karosserie des Volkswagens oder pre ß ten ihre Ge sichter gegen die Scheiben - mi t hervorquelle n den Augen und heraushängenden Zungen; groteske Affen. März schaltete in den ersten Gang und fuhr an. Es gab e i ne n Schlag, als einer der Tänzer fortgeschleudert wurde.
Er fuhr zurück zum Werderschen Markt. Bei der Polizei war jeder Urlaub gestrichen worden. Durch jedes Fenster strahlte elektrische s Licht. In der Eingangshalle grüßte ihn jemand, aber März übersah das. Er klapperte die Treppen in den Keller hinab.
Banktresore und Keller und unterirdische Lagerräume ... langsam werde ich zum Troglodyten, dachte März; zum Höhlenbewohner; zu m Einsiedler; zum Räuber papierener Gräber.
Die Gorgone der Registratur saß immer noch in ihrem Versteck.
Schlief sie denn nie? Er zeigte ihr seinen Ausweis. Am großen Mitteltisch standen noch andere Detektive, die g e langweilt durch di e allgegenwärtigen Aktenumschläge blä t terten. März suchte sich einen Platz in der fernsten Ecke des Raumes. Er schaltete ein e Leselampe ein und beugte deren Schirm tief über den Tisch. Aus seiner Un i formjacke zog er die drei Blätter h e raus, die er aus de m Reichsarchiv mitgenommen hatte.
Es waren Fotokopien von schlechter Qualität. Das Gerät war zu schwach eingestellt gewesen, die Originale waren hastig und schie f eingelegt worden. Das warf er Rudi nicht vor. Rudi hatte die Kopien überhaupt nicht machen wollen. Rudi hatte die blanke Furch t ergriffen. All sein Schulju n genübermut hatte ihn verla s sen, als er Heydrichs Einladung las. März hatte ihn buc h stäblich zum Kopiere r schleppen müssen. In dem Augenblick, in dem der Hi s toriker fertig war, war er in den Lagerraum zurückgestürzt, hatte die P a piere i n ihre Kästen gestopft und die Kästen in die Regale zurückgestellt. Auf sein Insistieren hatten sie das Archi v gebäude durch ein e Hintertür verlassen.
»Ich glaube, Xavi, wir sollten uns jetzt für eine lange Zeit nicht mehr sehen.«
»Natürlich nicht.«
»Du weißt ja, wie das ist ... «
Halder hatte elend und hilflos dagestanden, während über ihren Köpfen die Feuerwerkskörper zischten und knallten. März hatte ih n umarmt - »Mach dir keine Vo r würfe; ich weiß: die F a milie kommt zuerst« - und war dann schnell gegangen.
Dokument eins. Heydrichs Originaleinladung,
datiert Be r lin, den 29. November 1941:
Lieber Parteigenosse Luth e r!
Am 31.7.1941 beauftragte mich der Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches, unter Beteiligung der in Frage kommenden andere n Zentralinstanzen alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und mat e rieller Hinsicht für eine Endlösun g der Judenfrage in Eur o pa zu treffen und ihm in Bälde einen Gesamtentwurf hier ü ber vorzulegen. Eine Kopie dieser Bestellung lege ic h me i nem Schreiben bei.
In Anbetracht der außerordentlichen Bedeutung, die di e sen Fragen zuzumessen ist, und im Interesse der Erre i chung einer gleiche n Auffassung bei den in Betracht ko m menden Zentralinstanzen an den übrigen mit dieser Endl ö sung zusammenhängenden Arbeite n rege ich an, diese Probleme zum Gegenstand einer g e meinsamen Aussprache zu machen, zumal seit dem 15.10.194 1 bereits in laufe n de n Transporten Juden aus dem Reichsgebiet ei n schließlich Protektorat Böhmen und Mähren
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