Vaterland
Straße, das zertrümmerte Auto, die von ihren Söhnen gestützte Witwe. Kritzinger, der ehemalige Ministerialdirektor in der Reichskanzlei, war vor etwas über einem Monat am 7. März in München vor seinem Haus in die Luft gesprengt worden. Bisher hatte keine der Terroristengruppen die Ve r antwortung dafür beansprucht.
Von zwei Männern berichtete der >Völkische Beobac h ter<, daß sie auf natürliche Weise gestorben seien. SS-Standartenführer Adolf Eichmann vom Reichssicherheit s hauptamt war 1961 eine r Herzattacke erlegen. SS-Sturmbannführer Doktor Rudolf Lange vom KdS Let t land war 1955 an einem Hirnt u mor verstorben. Heinrich Müller. Das war ein weiterer Name, den März kannte.
Der bayerische Polizist Müller, vormals Leiter der G e stapo, hatte sich an Bord von Himmlers Flugzeug befu n den, als es 1962 abstürzte, keiner an Bord überlebte.
SS-Oberführer Doktor Karl Schöngarth von den Siche r heitsdiensten des Generalgouvernements war am 9. April 1964 - vor kaum mehr als einer Woche - vor die Räder e i nes U-Bahnzuges gestürzt, der gerade in den Bahnhof Zoo einfuhr. Es hatte keine Zeugen gegeben. SS-Obergruppenführer Otto Hoffmann vom Reichssicherheit s hauptamt war am zweiten Weihnachtstag in seiner Spa n dauer Wohnung aufgefunden worden, an einer Wäschele i ne hängend.
Das war alles. Von den 14 Männern, die auf Einladung Heydrichs der Konferenz beigewohnt hatten, waren 13 tot. Der 14., Luther, wurde vermißt.
Das Propagandaministerium hatte als Teil seines Fel d zugs, die öffentliche Wachsamkeit gegenüber dem Terr o rismus zu schärfen, eine Reihe von Bildergeschichten für Kinder herstellen lassen. Jemand hatte eine davon an das Anschlagbrett im zweiten Stockwerk geheftet. Ein kleines Mädchen empfängt ein Paket und beginnt, es zu öffnen. Auf jedem der nachfolgenden Bilder entfernt es weitere Schichten Packpapier, bis es mit einem Wecker dasteht, an den zwei Dynamitstangen befestigt sind. Das letzte Bild ist eine Explosion mit der Unterschrift: »Warnung! Öffne niemals ein Paket, wenn du seinen Inhalt nicht kennst!« Ein guter Witz. Ein Grundsatz für jeden deutschen Polizi s ten.
Mach kein Paket auf, wenn du den Inhalt nicht kennst. Stell keine Fragen, wenn du die Antwort nicht kennst. En d lösung. Endlösung. Endlösung . Das Wort hallte in März' Kopf wider, als er den Korridor zu seinem Büro halb h i nabging, halb hinab rannte.
Endlösung.
Er stemmte die Schubladen von Max Jägers Schreibtisch auf und w ühlte sich durch den Wust. Max war in Verwaltungsangelegenheiten berüchtigt nachlässig und wegen dieser Nachlässigkeit oft genug verwarnt wo r den. März betete, er mög e sich die Warnu n ge n nicht zu Herzen genommen haben.
Er hatte nicht.
Gott segne dich, Max, du Trottel.
Er stieß die Schubladen wieder zu.
Erst dann bemerkte er es. Jemand hatte einen gelben Nachrichtenzettel an März' Telefon geheftet: »Dringend. Sofort Dienstrau m anrufen.«
FÜNF
Auf dem Rangiergelände des Bahnhofs Gotenland hatten sie Bogenlampen um die Leiche aufgestellt. Aus der En t fernung sah das Ganze sonderbar glanzvoll aus, wie eine Filmszene.
März stolperte darauf zu, rauf und runter, über die hö l zernen Schwellen und die metallenen Gleise und den di e seldurchtränkten Schotter.
Bevor man ihn in Gotenland umbenannt hatte, war das der Anhalter Bahnhof gewesen: des Reiches Hauptbahnhof für den Ostverkehr. Von hier aus war der Führer im Krieg in seinem Panzerzug Amerika in sein ostpreußisches Hauptquartier aufgebrochen; von hier aus mußten auch die Berliner Juden, unter ihnen die Weiß, auf ihre Reise gen Osten gegangen sein.
»... seit dem 10. Oktober sind die Juden vom Territorium des Reichs aus in einer ununterbrochenen Reihe von Transporten in den Osten evakuiert worden ...«
Hinter ihm wurden die Bahnsteigansagen in der Luft schwächer; irgendwo vor ihm das Klirren von Rädern und Kupplungen, eine freudlose Pfeife. Das Gelände war wei t läufig - eine Traumlandschaft in dem orangefarbenen S o diumlicht - genau in der Mitte der eine Fleck strahlender Weiße. Als März näher kam, konnte er ein Dutzend Gesta l ten ausmachen, die vor einem hochbordigen Güterw a gen standen: ein paar Orpo-Männer, Krebs, Dr.
Eisler, ein Fotograf, eine Gruppe beunruhigter Beamter der Deutschen Reichsbahn und Globus.
Globus sah ihn als erster und schlug langsam seine b e handschuhten Hände in einem gedämpften und höhn i schen Applaus zusammen. »Meine Herren, wir können uns en t
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