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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Klein-Magda raus außem Wagen, ve r sucht um ihr Leben zu rennen. Peng! Abgang Braut. Ende der Flitterwochen. Ende von allem verdammten Dreck. Nur isses das nich, weil nämlich die Familljen sind immer noch bei der Feier und trinken auf die Neuvermählten, und ni e mand macht sich die Mühe, denen während der nächsten zwei Stunden mitzuteilen, was geschehen ist.«
    Jäger putzte sich die Nase in ein schmieriges Tasche n tuch. März blickte wieder in den Paß des Mädchens. Sie war hübsch: blond und dunkeläugig, und jetzt mit vierun d zwanzig tot im Rinnstein. »Wer war es?« Er gab die Pässe zurück.
    Jäger zählte an den Fingern ab. »Polen. Letten. Esten. Ukrainer. Tschechen. Kroaten. Kaukasier. Georgier. Rote. Anarchisten. Wer weiß? Heutzutage könnte es jeder sein. Der arme Narr hat in seiner Kaserne ne offene Einladung an die Ankü ndigungstafel gesteckt. Die Ge stapo nimmt an, ne Putzfrau, ne Köchin, irgendso jemand hats gesehen und die Nachricht weitergegeben. Die meisten dieser Hilfswe i ber in den Kasernen sind Ausländerinnen. Die sind alle heute nachmittag hoppgenommen worden, die armen Schweine.« Er schob Pässe und Führerscheine zurück in den Umschlag und warf ihn in eine Schublade. »Und wie ist es dir ergangen?«
    »Nimm dir ne Praline«, März reichte Jäger die Schac h tel, der sie öffnete. Die dünne Musik erfüllte das Büro. »Sehr geschmackvoll.« »Was weißt du davon?«
    »Wovon? Die lustige Witwe? Die Lieblingsoperette des Führers. Meine Mutter war ganz verrückt danach.« »Meine auch.« Jede deutsche Mutter war verrückt danach. Die lu s tige Witwe von Franz Lehar. Uraufführung in Wien 1905: so zuckrig wie die Sahnetorten der Stadt. Lehar war 1948 gestorben, und Hitler hatte einen persönlichen Vertreter zur Beerdigung geschickt. »Was soll man sonst dazu sagen?« Jäger nahm eine Praline in eine seiner großen Pranken und warf sie sich in den Mund. »Wo kommen die her? Von e i ner heimlichen Bewunderin?«
    »Ich hab sie aus Bühlers Briefkasten.« März biß in eine Praline und zuckte bei dem widerwärtigen Geschmack der Kirschschnapsfüllung zusammen. »Paß mal auf: Du hast keine Freunde, aber jeinand schickt dir aus der Schweiz eine kostspielige Schachtel Pralinen. Ohne jede Nachricht. Eine Schachtel, die des Führers Lieblingsschnulze spielt. Wer würde so was tun?« Er schluckte die andere Hälfte der Praline runter. »Vielleicht ein Giftmörder?«
    »O Gott!. Jäger spie sich den Mundinhalt in die Hand, zerrte sein Taschentuch heraus und begann, sich die braune Speichelschmiere von Fingern und Lippen abzuwischen. »Manchmal zweifle ich an deinem Verstand.« »Ich zerstöre systematisch Beweismittel des Staates«, sagte März. Er zwang sich, noch eine Praline zu essen. »Schlimmer noch: Ich verzehre staatliche Beweismittel und begehe dadurch ein doppeltes Vergehen. Ich behindere die Justiz, während ich mich selbst bereichere.«
    »Mach Urlaub, Mann. Ich meins ernst. Du brauchst R u he. Mein Rat ist, geh runter und schmeiß diese Scheißpral i nen so schnell wie möglich in den Müll. Dann komm mit nach Hause und iß mit mir und Hannelore zu Abend. Du siehst aus, als ob du seit Wochen nicht mehr anständig g e gessen hast. Die Gestapo hat sich die Akten geholt. Der Autopsie-Bericht geht direkt in die Prinz-Albrecht - Straße. Es ist vorbei. Erledigt. Vergiß es.«
    »Hör zu, Max.« März erzählte ihm von Josts Geständnis, daß Jost Globus mit der Leiche gesehen hatte. Er zog Bü h lers Taschenkalender hervor. »Hier stehn diese Namen. Wer sind Stuckart und Luther?«
    »Keine Ahnung.« Das Gesicht von Max war plötzlich angespannt und hart. »Und was wichtiger ist, ich will es gar nicht wissen.« Eine steile Flucht von Steinstufen führte in das Halbdunkel hinab.
    Unten zögerte März, die Pralinen in der Hand. Ein Durchgang zur Linken führte hinaus auf den gepflasterten Haupthof, wo man den Abfall aus großen rostigen Tonnen abholte. Nach rechts führte ein schwach beleuchteter Durchgang zur Registratur. Er schob sich die Pralinen unter den Arm und wandte sich nach rechts.
    Die Kripo-Registratur war in einem Gewirr von Räumen neben dem Heizungskeller untergebracht. Die Nähe der Heizkessel und das Netz aus Heißwasserleitungen, die die Decke im Zickzack überzogen, hielten die Registratur ständig h eiß. Da war der beruhigende Ge ruch von wa r mem Staub und trockenem Papier, und in der schwachen B e leuchtung schienen sich die Drahtgehänge der Akten und Berichte in

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