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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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    Nein. Ein lächerlicher Gedanke. Er hatte schon so genug Probleme.
    Eine feierliche blonde Nachrichtensprecherin füllte den Schirm aus; hinter ihr sah man eine Bildmontage von Ke n nedy und dem Führe r mit dem einzigen Wort »Entspa n nung«.
    Charlotte Maguire hatte sich aus Stuckarts Getränk e schrank ein Glas Scotch genommen. Nun hob sie es dem Fernsehschirm z u höhnischem Gruß entgegen. »Auf Joseph P. Kennedy: Präsident der Vereinigten Staaten - B e schwichtigungspol i tiker, Antisemit,
    Verbrecher und Hurensohn. Mögest du in der Hölle rö s ten«
    Die Uhr draußen schlug 10.30 Uhr, 10.45 Uhr, 11 Uhr.
    Sie sagte: »Vielleicht hat Ihr Freund es sich noch einmal überlegt.«
    März schüttelte den Kopf. »Der kommt.«
    Einige Augenblicke später rollte ein zerschrammter blauer Skoda auf den Platz. Er fuhr langsam einmal um den Platz herum, kam dan n zurück und parkte gegenüber dem Wohnblock. Max Jäger tauchte auf der Fahrerseite auf; von der anderen Seite kam ein kleiner Man n in einer sch ä bigen Spottjacke, der einen weichen Filzhut und einen Arztkoffer trug. Er schielte zum vierten Stock empor und wic h zurück, aber Jäger faßte ihn beim Arm und wirbelte ihn auf den Eingang zu.
    In die Stille des Wohnzimmers ertönte der Summer.
    »Am besten«, sagte März, »Sie sagen nichts.«
    Sie zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen.«
    Er ging in die Diele und nahm das Haustelefon ab.
    »Hallo, Max.«
    Er drückte auf einen Knopf und öffnete die Tür. Der Korridor war leer. Nach einer Minute kündigte ein sanftes Ping die Ankunft de s Aufzugs an, und der kleine Mann erschien. Er schlurfte den Gang herab und in Stuckarts Flur, ohne ein Wort zu sagen. Er war in seine n Fünfzigern und schleppte mit sich wie Mundgeruch den Mief der Hi n terhöfe - nach flüchtigen Geschäften und dreifache r Buc h führung, nach Kartentischen, die man beim G e räusch von Tritten auf der Treppe wegräumt. Jäger folgte dicht hinter ihm.
    Als der Mann sah, daß März nicht allein war, schreckte er zurück in die Ecke. »Wer ist die Frau?« Er flehte Jäger an. »Sie haben nichts von einer Frau gesagt. Wer ist die Frau?« »Halt den Mund, Willi«, sagte Max. Mit einem sanften Puff schubste er ihn ins Wohnzimmer. März sagte: »Mach dir keine Sorgen, Willi. Sieh dir das an.« Er knipste die Lampe an und richtete sie aufwärts.
    Willi Stiefel nahm den Safe mit einem Blick auf. »En g lisch«, sagte er. »Kasten: anderthalb Zentimeter, hochzäher Stahl. Feiner Mechanismus. Acht-Ziffern-Code. Sechs, wenn Sie Glück haben.«
    Er flehte März an: »Ich bitte Sie, Herr Sturmbannführer. Für mich ist es beim nächsten Mal die Guillotine.« »Für dich wird es diesmal die Guillotine sein«, sagte Jäger, »wenn du nicht voran machst.« »Fünfzehn Minuten, Herr Sturmbannführer. Dann bin ich hier raus. Abgemacht?« März nickte. »Abgemacht.«
    Stiefel warf der Frau einen letzten nervösen Blick zu. Dann legte er Hut und Jacke ab, öffnete seinen Koffer und nahm ein Paar dünier Gummihandschuhe sowie ein St e thoskop heraus.
    März nahm Jäger mit sich zum Fenster und flüsterte: »Hast du viel Überredunggebraucht?« »Was glaubst du denn? Aber dann hab ich ihm gesagt, daß er imner noch unter dem 42 steht. Da hat er begriffen.« Paragraph 42 des Reichsstrafgesetzbuchs stellte fest, daß »alle Berufsverbr e cher und solche, die sich gegen die Moral vergehen«, Schon auf den Verdacht hin, daß sie ein Verbrechen beg e hen können, verhaftet werden konnten. Der Nationalsozi a lismus lehrte, daß das Verbrechertum im Blut liege: etwas, mit dem man geboren wird, wie mit musikalischer Beg a bung oder blonden Haaren. Also entschied der Charakter des Verbrechers mehr über das Urteil als ein Verbrechen. Ein Gangster, der nach einer Prügelei ein paar Mark stahl, konnte zum Tode verurteilt werden, weil er »eine so tie f verwurzelte Neigung zum Verbrechen an den Tag legt, daß es ausgeschlossen erscheint, daß er jemals zu einem nützl i chen Mitglied der Volksgemeinschaft werden kann«. Aber am nächsten Tag mochte dasselbe Gericht ein treues Pa r teimitglied, das seine Frau wegen einer beleidigenden B e merkung erschossen hatte, mit einer Verwarnung, Fri e den zu halten, davonkommen lassen.
    Stiefel konnte sich keine weitere Verhaftung leisten. Er hatte zuletzt 9 Jahre in Spandau wegen Bankraubs abgese s sen. Er hatte keine Wahl, sondern mußte mit der Polizei zusammenarbeiten, was immer sie auch von ihm verla n gen mochte - Informant,

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