Vaterland
worden, ihre modernistischen Malereien im Hof zu verbrennen. Jetzt wurden die hoben Fenster von dicken Netzvorhängen geschützt, eine Vorsichtsmaßnahme gegen Terrorangriffe. Hinter der Gaze brannten Kronleuchter wie im Nebel.
März hatte es sich zu einem Grundsatz seines Lebens gemacht, diese Schwelle niemals zu übertreten, und bisher hatte er Erfolg gehabt. Drei Steinstufen führten zur Ei n gangshalle hinauf. Weitere Stufen, und dann eine weite überwölbte Halle: ein roter Teppich auf einem Steinfußb o den, der hohle Widerhall einer Kathedrale. Es ging g e schäftig zu. Die frühen Morgenstunden waren für die G e stapo immer geschäftig. Aus den Tiefen des Gebäudes kam das gedämpfte Läuten von Klingeln, hörte man Schritte, ein Pfeifen, einen Ruf. Ein fetter Mann in der Uniform e i nes Obersturmführers bohrte in der Nase und betrachtete sie ohne Interesse.
Sie gingen weiter, einen Korridor entlang, den Haken k reuze und Marmorbüsten der Parteiführung säumten - G ö ring, Goebbels, Bormann, Frank, Ley und die übrigen -, nach dem Vorbild römischer Senatoren gestaltet. März konnte hören, daß ihnen die Wachen in Zivil folgten. Er blickte zu Jäger, aber Max starrte mit zusammengebissenen Zähnen geradeaus.
Weitere Stufen, ein anderer Gang. Der Teppich war L i noleum gewichen. Die Wände waren schmuddelig. März vermutete, daß sie ich irgendwo in der Nähe des hinteren Gebäudeteils befanden, im zweiten Stock.
»Bitte warten Sie hier«, sagte Krebs. Er öffnete eine st a bile Holzür. Neonlicht stotterte sich ins Leben. Er trat be i seite, um sie einreten zu lassen. »Kaffee?« »Danke«
Und dann war er gegangen. Als die Tür sich schloß, sah März einen der Wächter draußen im Korridor mit gekreu z ten Armen Posten beziehen. Halb erwartete er, einen Schlüssel sich im Schloß drehen zu hören, aber das G e räusch kam nicht. Man hatte sie in eine Art Verhörzimmer gebracht. Ein grober Holztisch stand mitten auf dem B o den, auf jeder Seite ein Stuhl, ein halbes Dutzend andere entlang der Wände. Es gab ein kleines Fenster. Gegenüber hing in einem Plastikrahmen eine Reproduktion des Por t räts von Reinhard Heydrich, gemalt von Joseph Vietze. Auf dem Boden waren kleine braune Flecken, die für März wie getrocknetes Blut aussahen.
Die Prinz-Albrecht-Straße war Deutschlands schwarzes Herz, ebenso berühmt wie die Siegesallee und die Große Halle, aber ohne Touristenbusse. Nummer acht: die Gest a po. Nummer neun: Heydrichs Residenz. Um die Ecke: das Prinz-Albrecht-Palais selbst, das Hauptquartier des SD, des Sicherheitsdienstes der Partei. Ein Komplex von unterird i schen Gängen verband die drei.
Jäger murmelte etwas und sackte auf einem Stuhl z u sammen.
März fand nichts Passendes zu sagen, also sah er aus dem Fenster.
Es hatte eine klare Sicht auf den Park des Palais, der sich hinter dem Gestapo-Gebäude erstreckte - die dunklen Klumpen der Büsche,
der Tintensee des Rasens, die skelettartigen Äste der Linden, die sich krallengleich in den Himmel reckten. Zur Rechten sah man durc h die kahlen Bäume den Würfel de s Europa-Hauses aus Beton und Glas, den in den zwanzigern Jahren der jüdische Architek t Mendelssohn gebaut hatte. Die Partei hatte es als Monument seiner »zwergischen Vo r stellungskraft« stehen lassen: zwischen Speer s granit e nen Monolithen war es nur ein Spielzeug. März konnte sich an einen Sonntagnachmittagstee mit Paule in de m Dachga r tenrestaurant erinnern. Limonade und Obsttorte mi t Sahne, und die kleine Kapelle hatte - was denn sonst? - eine Au s wahl aus der Lustigen Witwe gespielt, ältliche Frauen mit kunstvolle n Sonntagshüten, die kleinen Finger von den hauchdünnen Porzellantassen abgespreizt.
Die meisten achteten sorgfältig darauf, nicht auf die schwarzen Gebäude hinter den Bäumen zu blicken. And e ren schien die Nähe de r Prinz-Albrecht-Straße ein Bibbern der Erregung zu verschaffen, wie ein Picknick neben e i nem Gefängnis. In den Kellern durft e die Gestapo ausüben, was das Justizministerium »ve r schärfte Befragung« nannte. Die Regeln waren von zivil i sierten Männern i n beheizten Büros entworfen worden und sahen die A n wesenheit eines Arztes vor. Vor einigen Wochen hatte es am Werderschen Mark t eine Unterhaltung gegeben. Jemand hatte ein G e rücht über den neuesten Trick der Folterer gehört: Man führte einen dünne n Glaskatheter in den Penis des Ve r dächtigen ein und zerbrach es dann.
's flüstern Geigen:
Hab mich
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