Vaterland
lieb!
Er schüttelte den Kopf, kniff sich in den Nasenrücken und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.
Nachdenken.
Er hatte eine papierene Spur von Hinweisen hinterla s sen, deren jeder einzelne ausreichend gewesen wäre, die Gestapo zu Stuckart s Wohnung zu führen. Er hatte St u ckarts Akte verlangt. Er hatte den Fall mit Fiebes bespr o chen. Er hatte in Luthers Wohnun g angerufen. Er hatte Charlotte Maguire gesucht.
Er sorgte sich um die Amerikanerin. Selbst wenn es ihr gelungen war, vom Fritz-Todt-Platz zu entkommen, konnte die Gestapo sie doc h schon morgen holen. » Routinefragen, Fräulein... Was ist in diesem Umschlag, bitte?... Wie sind Sie daran geko m men?... Beschreibe n Sie den Mann, der den Safe geöffnet hat. ..« Sie war zäh, mit dem Selbstb e wußtsein einer Schauspielerin, aber in ihren Händen würd e sie keine fünf Minuten durchhalten.
März lehnte die Stirn gegen die kalte Glasscheibe. Das Fenster war verriegelt. Es war ein glatter Sturz von 15 M e tern bis zum Erdboden.
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Ein Mann mit dunkler Haut, in Hemdsärmeln und nach Schweiß stinkend, kam herein und stellte zwe i Becher Kaffee auf den Tisch.
Jäger, der mit gekreuzten Armen dasaß und auf seine Stiefel starrte, fragte: »Wie lange noch?«
Der Mann zuckte die Schultern - eine Stunde? eine Nacht? eine Woche? - und ging wieder. Jäger kostete den Kaffee und zog ein e Grimasse. »Schweinepisse.. Er zünd e te sich eine Zigarette an und bewegte den Rauch wie sp ü lend im Munde herum, ehe er ihn i n Schwaden durch das Zimmer blies.
Er und März sahen einander an. Nach einer Weile sagte Max:
»Du weißt, du hättest abhauen können.«
»Und dich da drin stecken lassen? Kaum fair.« März versuchte den Kaffee. Er war lauwarm. Das Neonlicht fl a ckerte und zischte, un d machte ihm den Kopf pochen. Das also machten sie mit einem. Ließen einen bis zwei oder drei am Morgen allein, bis der Körper a m schwäc h sten und die Verteidigung am verletzbarsten ist. Er kannte diesen Teil des Spieles ebenso gut wie sie.
Er schluckte den scheußlichen Kaffee und zündete sich eine Zigarette an. Alles tun, um wach zu bleiben. Schuldg e fühle wegen de r Frau, Schuldgefühle wegen des Freu n des.
»Ich bin ein Idiot. Ich hätte dich da nicht reinziehen so l len. Tut mir leid.«
»Vergiß es.«Jäger wedelte den Rauch fort. Er lehnte sich vor und sprach sanft. »Du mußt mich meinen Teil der Ve r antwortung trage n lassen, Xavi. Ich bin der gute Parteig e nosse Jäger. Braunhemd. Schwarzhemd. Jede ve r dammte Sorte Hemd. Zwanzig Jahre hab ich de r heiligen Sache g e widmet, meinen Arsch sauber zu ha l ten.«
Er griff nach März.' Knie. »Ich habe Schulden einzufo r dern. Man schuldet mir was.«
Er hatte den Kopf gesenkt. Er flüsterte. »Dich haben sie aufs Korn genommen, mein Freund. Ein Einzelgänger. G e schieden.
Dir werden sie das Fell bei lebendigem Leibe abziehn. Und ich?
Der große Anpasser Jäger. Verheiratet mit einer Träg e rin des deutschen Mutterkreuzes. In Bronze, nicht weniger. Vielleicht nicht gan z so gut bei der Arbeit…«
»Das stimmt nicht.«
»... aber in Sicherheit. Stell dir mal vor, ich hätte dir g e stern morgen nichts davon gesagt, daß die Gestapo den Fall Bühler übernomme n hat. Als du dann zurückgekommen bist, hab ich gesagt, wir wollen mal Stuckart überprüfen. Die sehen sich meine Personalakte an. Di e könnten das vielleicht schlucken, wenn es von mir kommt.«
»Das ist wirklich anständig.«
»Lieber Gott, Mann - vergiß es.«
»Aber es wird nicht klappen.«
»Warum nicht?«
»Weil das eine Sache jenseits von Schulden und saub e ren Personalpapieren ist, begreifst du das nicht? Was ist mit Bühler un d Stuckart? Die waren schon in der Partei, als wir noch nicht einmal geboren waren. Und wo blieben die Vergün s tigungen, als sie di e brauchten?«
»Glaubst du tatsächlich, daß die Gestapo sie umgebracht hat?«
Jäger sah erschreckt aus.
März legte den Finger auf die Lippen und wies auf das Bild. »Sag mir nichts, was du nicht auch zu Heydrich sagen würdest«, flüstert e er.
Die Nacht schleppte sich schweigend dahin. Gegen drei Uhr schob sich Jäger ein paar Stühle zusammen, legte sich unbeholfen hin und schloß die Augen. Nach wenigen M i nuten schnarchte er. März kehrte auf seinen Posten am Fenster zurück. Er konnte spüren, wie sich Heydrichs Bl i cke in seinen Rücken bohrten. Er versuchte, das zu ignori e ren, schaffte es nicht, und drehte
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