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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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zum Nachdenken zu gewinnen.
    »Menschen, die dem gewaltsamen Tod begegnen - die versuchen es zu vergessen, wegzulaufen. Nicht Sie. G e stern abend: Ihre Bereitwilligkeit, in Stuckarts Wohnung zurückzukommen, die Art, wie Sie seine Briefe öffneten. Heute morgen: das Ausgraben von Informationen über Schweizer Banken …«
    Er hörte auf zu sprechen. Ein älteres Paar ging auf dem Fußweg an ihnen vorüber und starrte sie an. Ihm wurde klar, daß sie ein seltsames Paar abgaben: ein SS-Sturmbannführer, unrasiert und reichlich zerzaust, und eine Frau, die ganz offensichtlich eine Ausländerin war. Ihr A k zent mochte vollkommen sein, aber da war etwas um sie, in ihrem Ausdruck, ihrer Kleidung, ihrer Haltung - e t was, das verriet, daß sie keine Deutsche war. »Gehen wir hier lang.« Er führte sie vom Fußweg fort auf die Bäume zu. »Kann ich eine davon haben?«
    Als er ihr im Schatten eine Zigarette anzündete, schützte sie die Flamme mit gewölbten Händen. Das Widerspiel des Feuers tanzte in ihren Augen.
    »Na schön.« Sie trat einen Schritt zurück und umschlang sich mit den Armen, als sei ihr kalt. »Es stimmt, daß meine Eltern Stuckart vor dem Krieg gekannt haben. Es stimmt, daß ich ihn vor Weihnachten besucht habe. Aber nicht ich habe ihn angerufen. Er hat mich angerufen.« »Wann?« »Samstag. Spät.« »Was hat er gesagt?«
    Sie lachte. »O nein, Sturmbannführer. In meinem G e schäft sind Informationen eine Ware, die auf dem freien Markt gehandelt wird. Aber ich bin bereit zu handeln.« »Was wollen Sie wissen?«
    »Alles. Warum Sie gestern Abend in die Wohnung ei n brechen mußten. Warum Sie Ge heimnisse vor Ihren eig e nen Leuten haben. Warum die Gestapo Sie vor einer Stu n de fast umgebracht hat.«
    »Ach, das ... Er lächelte. Er fühlte sich erschöpft. Er lehnte den Rücken gegen die rauhe Borke des Baumes und starrte über den Park. Es schien ihm, daß er nichts zu ve r lieren hatte. »Vor zwei Tagen«, begann er, »habe ich eine Leiche aus der Havel gefischt.«
    Er erzählte ihr alles. Er erzählte ihr von Bühlers Tod und Luthers Verschwinden. Er erzählte ihr, was Jost gesehen hatte und was ihm zugestoßen war. Er erzählte ihr von N e be und Globus, von den Kunstschätzen und den Gest a po-Akten. Er erzählte ihr sogar von Paules Aussage. Und e t was, das er bei Verbrechern bemerkt hatte, während sie gestanden, auch wenn sie wußten, daß ihr Geständnis sie eines Tages umbringen würde: als er geendet hatte, fühlte er sich besser.
    Lange Zeit schwieg sie. »Das ist fair«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob es Ihnen hilft, aber mir ist Folgendes zuge s toßen.« Sie war Samstag abend früh ins Bett gegangen. Das Wetter war schlecht - der Anfang jener riesigen Rege n bank, die drei Tage lang die Stadt ertränkt hatte. Sie hatte keine Lust auf Gesellschaft, schon seit Wochen nicht. Be r lin kann einen dazu bringen. Kann einen sich im Schatten jener gewaltigen grauen Gebäude klein und hoffnungslos fühlen lassen; die ewigen Uniformen; die nie lächelnden Bürokraten.
    Das Telefon klingelte gegen 11.30 Uhr, gerade als sie in den Schlaf abzudriften begann. Eine Männerstimme. Straff. Präzise. »Es gibt eine Fernsprechzelle gegenüber Ihrer Wohnung. Gehen Sie dahin. Ich werde Sie da in 5 Minuten anrufen. Wenn die Zelle besetzt ist, warten Sie bitte.«
    Sie hatte nicht erkannt, wer das war, aber etwas in der Stimme des Mannes hatte ihr gesagt, daß das kein Scherz sei. Sie hatte sich angezogen, ihren Mantel geschnappt, war die Treppen hinuntergehastet, auf die Straße, und hatte ve r sucht, sich gleichzeitig die Schuhe anzuziehen und weite r zugehen. Der Regen war ihr wie ein Schlag übers G e sicht gefahren. Auf der anderen Seite der Straße stand vor dem Bahnhof eine alte Telefonkabine - Gottseidank leer.
    Und während sie auf den Anruf wartete, erinnerte sie sich, wo sie diese Stimme zum ersten Mal gehört hatte. »Gehen Sie ein bißchen zurück«, sagte März. »Ihre erste Begegnung mit Stuckart. Beschreiben Sie die.« Das war vor Weihnachten gewesen. Sie hatte ihn einfach angerufen. Erklärt, wer sie war. Er schien ablehnend, aber sie war hartnäckig geblieben, und schließlich hatte er sie zum Tee gebeten. Er hatte einen Schopf weißer welliger Haare und eine jener orangefarbenen Bräunungen, die man entweder bei langen Aufenthalten unter der Sonne oder unter Ultr a violettlampen erwirbt. Die Frau, Maria, war auch in der Wohnung, benahm sich aber wie ein Dienstmädchen. Sie servierte den

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