Vaterland
Führergeburtstags ein Feuerwerk im Tiergarten. Ein Teil des Parks war abgezäunt worden, und in dem bereiteten Pyrotechniker in blauen Overalls ihre Überraschungen vor, von einer neugierigen Menge beobachtet. Mörserrohre, mit Sandsäcken geschüt z te Feuerstellungen, Schutzlöcher, Kilometer von Kabeln: das alles sah eher nach der Vorbereitung eines Artilleri e überfalls als nach einer Feier aus. Niemand schenkte dem SS-Sturmbannführer und der Frau in dem blauen Plasti k mantel irgendwelche Aufmerksamkeit. Er kritzelte auf eine Seite seines Notizbuches.
»Das hier sind meine Telefonnummern - im Büro und zu Hause. Und hier sind die Nummern meines Freundes Max Jäger. Wenn Sie mich nicht erreichen können, rufen Sie ihn an« Er riß die Seite heraus und gab sie ihr. »Wenn sich i r gend etwas Verdächtiges ereignet, wenn irgendwas Sie b e unruhigt - rufen Sie an, egal um welche Zeit.« »Was ist mit Ihnen? Was wollen Sie tun?«
»Ich will versuchen, heut nacht nach Zürich zu fliegen. Und morgen als erstes dieses Bankkonto zu überprüfen.« Er wußte, was sie sagen wollte, noch ehe sie den Mund öffnete. »Ich komm mit Ihnen« »Sie sind hier viel sich e rer.« »Aber es ist auch meine Geschichte.«
Sie klang wie ein enttäuschtes Kind. »Es ist keine G e schichte, um Himmels willen.« Er schluckte seinen Ärger herunter. »Hören Sie. Ei n Vorschlag. Ich schwöre Ihnen, daß ich Ihnen alles erzähle, was ich herausfinde. Sie kö n nen alles haben.«
»Nicht so gut wie dabeisein«
»Besser als tot sein.«
»Im Ausland würden die das nie tun.«
»Im Gegenteil, genau das würden die tun. Wenn hier etwas passiert, sind sie verantwortlich. Wenn im Ausland was passiert ...«
Er zuckte die Achseln. »Wie das beweisen?«
Sie trennten sich in der Mitte des Tiergartens. Er strebte energisch über das Gras auf das Summen der Stadt zu. Während er ausschritt, nahm er den Umschlagaus der T a sche, drückte ihn, um zu prüfen, ob der Schlüssel noch da r in sei - und hob ihn impulsiv an die Nase. Ihr Duft. Er blickte über die Schulter zurück. Sie ging durch die Bäume, mit dem Rücken zu ihm. Sie verschwand für einen Auge n blick und erschien dann wieder; verschwand, erschien - ein kleines Vögelchen - leuchtendblaue Federn vor trübs e ligen Stämmen.
FÜNF
Die Tür zu März' Wohnung hing in ihren Angeln wie ein gebrochener Kiefer. Er stand im Gang vor der Tür, mit g e zogener Pistole, und lauschte. Die Wohnung lag schwe i gend da, verlassen.
Man hatte seine Wohnung ebenso wie die von Charlotte Magvire durchsucht, aber mit sehr viel böswilligeren Hä n den. Alles war in der Mitte des Wohnzimmers auf einen Haufen gekippt worden - Kleider und Bücher, Schuhe und alte Briefe, Fotografien, Steingut und Möbel - die Ablag e rungen eines Lebens. Es sah aus, als habe jemand ein Fre u denfeuer entzünden wollen, sei aber im letzten Auge n blick, ehe er die Fackel hineinschleuderte, abgelenkt wo r den.
Oben auf dem Scheiterhaufen stand aufrecht eine hol z gerahmte Aufnahme von März im Alter von zwanzig Ja h ren, wie er einen Händedruck mit dem Befehlshaber der U-Boot-Flotte austauschte, dem Admiral Dönitz. Warum ha t te man sie so stehen lassen? Was sollte das bedeuten? Er nahm sie auf, trug sie zum Fenster und blies den Staub h e runter. Er hatte sogar vergessen, daß er sie besaß. Dönitz liebte es, bei jedem Boot an Bord zu kommen, ehe es aus Wilhelmshaven auslief: eine ehrfurchtgebietende Gestalt, aufrecht wie ein Ladestock, mit eisernem Griff, schroff. »Gute Jagd« hatte er März angebellt. Das knurrte er jedem zu. Die Aufnahme zeigte fünf junge Männer, die sich zu seinem Empfang unter dem Kommandoturm aufgereiht hatten. Links neben März stand Rudi Halder. Die anderen drei waren später in jenem Jahr umgekommen, im Rumpf eines U-U5 gefangen. Gute Jagd.
Er warf das Bild zurück auf den Haufen.
Es hatte Zeit gekostet, das alles so zuzurichten. Zeit und Ärger und die Gewißheit, nicht gestört zu werden. Es mu ß te geschehen sein, während er in der Prinz-Albrecht-Straße gefangengehalten war. Es konnte nur das Werk der Gest a po sein. Er erinnerte sich an eine Zeile, die die Weiße Rose als Graffiti an eine Mauer nahe dem Werderschen Markt gesprüht hatte:
EIN POLIZEISTAAT IST EIN LAND,
DAS VON VE R BRECHERN BEHERRSCHT WIRD.
Sie hatten seine Post geöffnet. Ei n paar längst überfällige Rechnungen - die durften sie gerne haben - und ein Brief von seiner Exfrau, am Dienstag datiert. Er
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