Vaterland
Flugzeug ruckelte leicht und begann dann, sich zu bewegen.
Von den letzten 36 Stunden war März 33 wach gewesen. Jetzt badete ihn Musik, wiegten ihn die Vibrationen. Er schlief ein.
Er verpaßte die Vorführung der Sicherheitsmaßnahmen. Das Abheben drang kaum in seine Träume. Und die Pe r son, die auf den Sit z neben ihm glitt, nahm er nicht wahr.
Erst als sie ihre Reisehöhe von 10000 Metern erreicht hatten und der Pilot sie informierte, daß sie Leipzig übe r flögen, öffnete er di e Augen. Die Stewardeß neigte sich ihm zu und fragte, ob er etwas zu trinken wünsche. Er wollte sagen »Einen Whisky«, doch dan n wurde er derm a ßen abgelenkt, daß er nicht mehr an t worten konnte. Neben ihm saß und gab vor, in einem M a gazin zu lesen, Charlott e Maguire.
Der Rhein glitt unter ihnen dahin, eine weite Kurve g e schmolzenen Metalls in der untergehenden Sonne. März hatte ihn noch nie au s der Luft gesehen. »Lieb Vaterland, magst ruhig sein: Fest steht und treu die Wacht am Rhein.« Zeilen aus seiner Kindheit, die au f einem ungestimmten Klavier in einem zugigen Gymn a sium heruntergehämmert wurden. Wer hatte sie geschri e ben? Er konnte sic h nicht erinnern.
Die Überquerung des Flusses war das Zeichen, daß sie aus dem Reich in die Schweiz übergewechselt waren. In der Ferne: Berge,
graublau und dunstig; unten: saubere rechteckige Felder und dunkle Tannenschläge; steile rote Dächer und kleine weiße Kirchen.
Als er aufgewacht war, hatte sie über die Verblüffung in seinem Gesicht gelacht. Vielleicht sind Sie daran gewöhnt, sich mi t ausgekochten Verbrechern abzugeben, hatte sie gesagt, und mit der Gestapo und der SS. Aber bisher haben Sie es noch nie mit de r guten alten amerikanischen Presse zu tun gehabt.
Er hatte geflucht, worauf sie mit einem weltäugigen Blick der vorgespielten Unschuld wie eine der Töchter von Max Jäger geantworte t hatte. Eine Aufführung, die bewußt schlecht gespielt, aber dadurch eine um so bessere wurde und seinen Ärger gegen ihn selbs t richtete, indem er Teil des Spiels wurde.
Danach hatte sie darauf bestanden, alles genau zu erkl ä ren, ob er nun zuhören wollte oder nicht, und dabei hatte sie mit eine m Plastikbecher voll Whisky gestikuliert. Es sei ganz leicht gewesen, sagte sie. Er habe ihr erzählt, daß er am Abend nach Zürich fliege n werde. Es gab nur einen Flug. Im Flughafen hatte sie den Lufthansaschalter unte r richtet, daß sie mit Sturmban n führer März reisen solle.
Sie habe sich verspätet: und ob sie bitte den Platz neben ihm haben könne? Als man dem zustimmte, wußte sie, daß er sich an Bor d befinden müsse.
»Und da waren Sie und schliefen«, schloß sie, »wie ein Säugling.«
»Und wenn man Ihnen gesagt hätte, es gebe keinen Pa s sagier namens März?«
»Dann wäre ich trotzdem gekommen« Sein Ärger mac h te sie ungeduldig. »Hören Sie zu, ich hab schon den grö ß ten Teil der Geschichte.
Ein Kunstdiebstahl. Zwei höhere Beamte tot. Ein dritter auf der Flucht. Ein Überlauf-Versuch. Ein geheimes Schweizer Bankkonto.
Schlimmstenfalls hätte ich in Zürich allein etwas A t mosphäre eingefangen. Bestenfalls hätte ich vielleicht Herrn Zaugg dazu gebracht,
mir ein Interview zu geben.«
»Das bezweifle ich nicht.«»Sehn Sie doch nicht so sauer aus, Sturmbannführer - ich werde Sie aus der Geschichte raushalten.«
Zürich liegt nur zwanzig Kilometer südlich des Rheines. Sie sanken rasch ab . März trank seinen Scotch aus und setzte den leere n Becher auf das ausgestreckte Tablett der Stewardeß.
Charlotte Maguire stürzte ihren in einem Zug herunter und stellte ihn neben seinen. »Wir haben wenigstens Whi s ky gemein, Her r März.« Sie lächelte.
Er wandte sich zum Fenster. Das war ihre Geschicklic h keit, dachte er: ihn töricht aussehen zu lassen, wie einen teutonischen Plattfuß.
Zuerst hatte sie ihm nichts von Stuckarts Telefonanruf gesagt. Dann hatte sie ihn dazu gebracht, sie bei der Durc h suchung vo n Stuckarts Wohnung mitmachen zu la s sen. Heute morgen hatte sie, statt darauf zu warten, daß er sich bei ihr melde, mit diese m amerikanischen Diplomaten Nightingale über Schweizer Banken gesprochen. Jetzt das. Es war, als habe man ständig ein Kind an de n Fersen - ein hartnäckiges, intelligentes, lästiges, trügerisches, gefährl i ches Kind. Wiederholt tastete er seine Taschen ab, ob Brief un d Schlüssel noch da waren. Sie war keineswegs darüber erhaben, sie ihm zu stehlen, während er schlief.
Die Junkers
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