Vaterland
ros der Forscher un d Lesesäle. Unter uns: sechs Stockwerke voller Dokumente. Du schre i test hier, mein Freund, über die Geschichte des Vaterla n des.
Ich für meinen Teil hüte Clios Lampe da drinnen.«
Es war eine Mönchszelle: klein, ohne Fenster, die Wä n de aus Granitblöcken. Papiere stapelten sich auf dem Tisch zu halbmeterhohe n Haufen und flossen auf den Boden über. Überall Bücher - einige Hundert -, und aus jedem sproß ein Dickicht aus Merkzetteln hervor.
Papierfetzen in allen Farben, Straßenbahnfahrscheine, Stückchen von Zigarettenschachteln, verbrauchte Streic h hölzer.
»Die Aufgabe des Historikers. Aus Chaos noch mehr Chaos zu machen.« Halder hob einen Stapel alter Arme e zeitungen von dem einsamen Stuhl, wedelte den Staub ab und winkte März, sich zu setzen. »Ich brauche deine Hilfe, Rudi - schon wieder.«
Halder hockte sich auf die Ecke seines Schreibtis chs. »Monatelang hab ich nichts von dir gehört, und dann plöt z lich zweimal in einer Woche. Ich vermute, es hat wieder mit der Bühler-Sache zu tun. Ich hab die Todesanzeige g e sehen.«
März nickte. »Ich sollte dir jetzt sagen, daß du mit einem Aussätzigen sprichst. Du könntest dich schon allein d a durch, daß du dich mit mir triffst, in Gefahr bringen.«
»Das macht es nur um so faszinierender.« Halder legte seine langen Finger gegeneinander und knackte mit den Gelenken. »Also los.« »Das wird dich wirklich fordern.« März hielt inne und holte Atem. »Drei Männer: Bühler, Wilhelm Stuckart und Martin Luther. Die ersten beiden tot; der dritte auf der Flucht. Alle drei hohe Beamte, wie du weißt. Im Sommer 1942 haben sie ein Bankkonto in Zürich eröffnet. Zuerst habe ich angenommen, sie hätten da Schä t ze von Geld oder Kunstwerken versteckt - Bühler steckte, wie du vermutet hast, bis über beide Ohren in der Korru p tion -, aber jetzt vermute ich, daß es wahrscheinlich Dok u mente waren.« »Welche Art von Dokumenten?« »Keine Ahnung.« »Gefährliche?« »Vermutlich.«
»Du hast da von Anfang an ein Problem. Du sprichst von drei verschiedenen Ministerien - Äußeres, Inneres und Generalgouvernement, das im übrigen kein wirkliches M i nisterium ist. Das sind Tonnen von Dokumenten. Und das meine ich wörtlich, Xavi - Tonnen.«
»Hast du deren Unterlagen hier?«
»Äußeres und Inneres ja. Die vom Generalgouvern e ment sind in Krakau.« »Hast du Zugang zu ihnen?«
»Amtlich - nein. Inoffiziell ... « Er wedelte mit seiner knochigen Hand. »... Vielleicht, wenn ich Glück habe. Aber, Xavi, es würde ein Leben lang dauern, sie auch nur durchzusehen. Was sollen wir denn deiner Meinung nach tun?« »Irgendwo in ihnen müssen Hinweise stecken. Vie l leicht fehlen Unterlagen.« »Aber das ist eine unmögliche Aufgabe.« »Ich hab dir doch gesagt, es wird uns fordern.« »Und wie schnell müssen diese >Hinweise< entdeckt we r den?« »Ich muß sie heute nacht finden.«
Halder gab einen explosiven Laut von sich, eine M i schung aus Ungläubigkeit, Ärger und Hohn. März sagte ruhig. »Rudi, in drei Tagen werden sie mich vor ein SS-Ehrengericht stellen. Du weißt, was das bedeutet. lcb muß sie jetzt finden.«
Halder sah ihn einen Augenblick lang an, unwillig zu glauben, was er da hörte, wandte sich dann ab und murme l te: »Laß mich nachdenken ... «
März sagte: »Kann ich rauchen?« »Im Flur. Nicht hier drin - dieses Zeugs ist unersetzlich.«
Während März rauchte, konnte er hören, wie Halder in seinem Büro hin und her ging. Er sah auf seine Uhr. Sechs Uhr. Der lange Korridor war verlassen. Die meisten Mita r beiter mußten schon nach Hause gegangen sein, um das Ferienwochenende zu beginnen. März versuchte zwei B ü rotüren, doch sie waren beide verschlossen. Die dritte war offen. Er nahm den Telefonhörer ab, lauschte auf das Ze i chen und wählte dann neun. Das Zeichen änderte sich: eine Amtsleitung. Erwählte Charlies Nummer. Sie antwortete sofort. »Ich bin's. Geht's dir gut?«
Sie sagte: »Mir geht's gut. Ich habe was entdeckt - nur eine Kleinigkeit.«
»Erzähl mir nichts davon. Ich rede später mit dir.« Er versuchte, an etwas anderes zu denken, was er sagen kön n te, aber sie hatte den Hörer schon aufgelegt.
Jetzt war Halder am Telefon, seine fröhliche Stimme hallte durch den steinernen Korridor. »Eberhard? Schönen guten Abend... Wohl wahr, keine Ruhe für manche von uns. Ein e schnelle Frage, wenn ich darf. Die Serien des Innenm i nisteriums ... Oh, schon gemacht? Ausgezeichnet.
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