Vaterland
sernen Balkoneu an den festungsähnlichen Wohnblocks ausge s pannt war.
DIE ARBEITER VON BERLIN GRÜSSEN DEN FÜHRER ZU SEINEM 75. GEBURTSTAG! LANG L E BE DIE RUHMREICH E NATIONALSOZIALIST I SCHE REVOLUTION! LANG LEBE UNSER FÜHRER UND REICHSKAN Z LER ADOLF HITLER!
Die Hinterstraßen befanden sich in einem Farbtaumel und pulsierten zum uhm-pah! der örtlichen SS-Kapellen. Und das war erst de r Freitag. März fragte sich, was die B e hörden von Wedding wohl für den eigentlichen Tag g e plant haben mochten.
Während der Nacht hatte ein rebellischer Geist an der Ecke Wolffstraße in weißer Schrift ein Graffiti hinzug e fügt: WER SICH NICH T FREUT, WIRD ERSCHOSSEN! Eine Gruppe beunr u higter Braunhemden bemühte sich, das abzuwaschen.
März benutzte das Taxi bis zum Fritz-Todt-Platz. Sein Volkswagen stand immer noch vor Stuckarts Wohnung, wo er ihn vorgester n abend geparkt hatte. Er blickte zum vie r ten Stockwerk hoch.
Jemand hatte alle Vorhänge zugezogen.
Am Werderschen Markt verstaute er den Koffer in se i nem Büro und rief den wachhabenden Beamten an. Martin Luther war noc h nicht aufgefunden worden.
Krause sagte: »Unter uns, März, Globus treibt uns alle in den heulenden Wahnsinn. Tobt hier alle halbe Stunde rein und rast un d brüllt, daß irgendwer ins KZ wandern müsse, wenn er keine Ergebnisse bekomme.«
»Der Herr Obergruppenführer ist ein sehr hingebung s voller Offizier.«
»Natürlich, ja, das ist er.« Krauses Stimme war plötzlich voller Panik. »Ich wollte doch keineswegs andeuten ...«
März hängte auf. Wer immer seine Telefongespräche abhörte, hatte jetzt etwas zum Nachdenken.
Er schleppte die Schreibmaschine zu seinem Schrei b tisch und zog ein einzelnes Blatt Papier ein. Er zündete sich eine Zigarette an.
An: Artur Nebe, SS-Oberstgruppenführer, Reichskrimina l polizei
Von: X. März, SS-Sturmbannführer 17. 4.64
1. Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß ich um 10 Uhr am heutigen Morgen die Geschäftsstelle von Zaugg & Cie, Bankiers, Bahnhofstraße, Zürich, betr e ten habe.
2. Das Nummernkonto, über dessen Existenz wir gestern gesprochen haben, wurde vom Unterstaat s sekretär im Außenministerium Martin Luther am 8.7.42 eröf f net. Es wurden vier Schlüssel ausgegeben.
3. In der Folge wurde die Box bei drei Gelegenheiten geöffnet: 17.12.42, 9.8. 43, 13.4.64.
4. Bei der Untersuchung durch mich stellte sich heraus, daß die Bo x
März lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und blies ein paar saubere Rauchringe gegen die Decke. Der Gedanke an jenes Gemälde in den Händen von Nebe - inmitten seiner Sammlung bombastischer süßlicher Schmutzler und Kirc h ner - war abstoßend, war geradezu ein Sakrileg. Be s ser es seinem Frieden in der Dunkelheit zu belassen. Er ließ seine Finger einen Augenblick lang auf den Tasten der Schrei b maschine ruhen und schrieb dan n
nichts enthielt.
Er drehte das Papier aus der Maschine, unterzeichnete es und versiegelte es in einem Briefumschlag. Er rief Nebes Büro an und wurd e angewiesen, es persönlich und sofort zu überbringen. Er hängte auf und starrte aus dem Fenster auf die Ziegelau s sicht.
Warum nicht?
Er stand auf und suchte in den Bücherregalen, bis er das Verzeichnis der Fernsprechteilnehmer für den Großraum Berlin fand. Er nah m es herab und suchte eine Nummer, die er vom Büro daneben anrief, um nicht abgehört zu we r den.
Eine Männerstimme antwortete: »Reichsarchiv.«
Zehn Minuten später versanken seine Stiefel in dem sanften Sumpf von Artur Nebes Büroteppich. »Glauben Sie an Zufälle, März?« »Nein, Herr Oberstgruppenführer.«
»Nein«, sagte Nebe. »Gut. Ich auch nicht.« Er legte sein Vergrößerungsglas hin und schob März' Bericht zur Seite. »Ich glaube nicht, daß zwei Beamte im Ruhestand gleichen Alters und Ranges rein zufällig beschließen, Selbstmord zu begehen, um nicht als korrupt entlarvt zu werden. Mein Gott« - er stieß ein kleines scharfes Lachen aus - , »wenn jeder Regierungsbeamte in Berlin sich dazu entschlösse, lägen auf den Straßen hohe Stapel von Toten.
Und sie sind auch nicht rein zufällig in der Woche e r mordet worden, in der ein amerikanischer Präsident ankü n digt, er wolle uns mit seinem Besuch beglücken.«
Er schob seinen Sessel zurück und hinkte zu einem kle i nen Bücherschrank, in dem die heiligen Schriften des Nat i onalsozialismus standen: Mein Kampf, Rosenbergs Mythos des XX Jahrhunderts, Goebbels' Tagebücher ... Er drückte auf einen Knopf, der
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