Vaterland
Bücherschrank schwang auf und enthüllte einen Getränkeschrank. Die Bände, sah März jetzt, waren lediglich auf Holz geklebte Bücherrücken.
Nebe goß sich einen großen Wodka ein und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. März stand immer noch davor, weder ganz stramm noch ganz gelockert.
»Globus arbeitet für Heydrich«, sagte Nebe. »Das ist einfach. Globus würde sich nicht mal den eigenen Arsch abwischen, bevor Heydrich ihm sagt, jetzt sei es an der Zeit dazu.« März sagte nichts.
»Und Heydrich arbeitet die meiste Zeit für den Führer, und während der ganzen Zeit arbeitet er für sich.« Nebe hob den schweren Schwenker an die Lippen. Seine Eidec h senzunge fuhr in den Wodka und spielte mit ihm. Er schwieg für eine Weile. Dann sagte er: »Wissen Sie, wa r um wir den Amerikanern Honig ums Maul schmieren, März?« »Nein, Herr Oberstgruppenführer.«
»Weil wir in der Scheiße stecken. Hier ist was, das Sie nicht in den Zeitungen des kleinen Doktors lesen werden. Himmlers Plan war, zwanzig Millionen Siedler im Osten bis 196o. Neunzig Millionen bis Ende des Jahrhunderts. Schön. Gut, wir haben sie also richtig hingebracht. Die Schwierigkeit ist nun, daß die Hälfte wieder zurück will. Betrachten Sie dieses Stückchen kosmischer Ironie, März: Lebensraum, in dem niemand leben möchte. Terroris mus.« - er gestikulierte mit der Hand, das Eis im Glase klingelte -, »ich brauche einem KripoBeamten nicht zu erzählen, wie ernst der Terrorismus geworden ist. Die Amerikaner stellen Geld und Waffen und Ausbildung zur Verfügung. Sie e r möglichen es den Roten,
seit zwanzig Jahren weiterzumachen. Und was uns a n geht: Die Jungen wollen nicht k ämp fen, und die Alten wo l len nicht arbeiten.« Ob solcher Torheit schüttelte er sein graues Haupt, fischte sich einen Eiswürfel aus dem Schwenker und saugte geräuschvoll daran. »Heydrich ist verrückt nach diesem Amerikageschäft. Er würde morden, damit es glatt geht. Ist es das, was hier läuft, März? Bühler, Stuckart, Luther - stellten die dafür irgendeine Bedrohung dar?« Nebes Blicke durchforschten sein Gesicht. März sah starr geradeaus. »Sie sind selbst eine Ironie, März. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht?« »Nein, Herr Obers t gruppenführer.«
»>Nein, Herr Oberstgruppenführer<« Nebe machte ihn spöttisch nach. »Na schön, dann tun Sie es jetzt. Wir haben uns aufgemacht, eine Generation von Übermenschen he r vorzubringen, um ein Reich zu beherrschen, ja? Wir haben sie geschult, harte Logik anzuwenden - erbarmungslos, sogar grausam. Erinnern Sie sich, was der Führer einmal gesagt hat? >Mein größtes Geschenk an die Deutschen ist, daß ich sie gelehrt habe, klar zu denken.<
Und was geschieht? Ein paar von euch - vielleicht die besten von euch - fangen an, dieses erbarmungslose klare Denken gegen uns zu richten. Ich sage Ihnen, ich bin froh, daß ich ein alter Mann bin. Ich fürchte die Zukunft.« Er blieb eine Minute lang ruhig, in seine eigenen Gedanken verloren.
Schließlich nahm der enttäuschte alte Mann sein Ve r größerungsglas wieder auf. »Dann soll es also Korruption sein, Er las noch einmal März' Bericht, zerriß ihn und ließ ihn in seinen Papierkorb fallen.
Clio, die Muse der Geschichte, bewachte das Reich s archiv: eine amazonenhafte Nackte, entworfen von Adolf Ziegler, de m »Reichsmeister des Schamhaares«. Sie blickte mit gerunzelter Stirn über die Siegesallee zur Halle der Soldaten, vor dem eine lang e Schlange von Touristen da r auf wartete, an den Gebeinen Friedrichs des Großen vo r beizuziehen. Tauben hockten auf den Abhänge n ihrer mächtigen Brüste wie Bergsteiger auf einem Gle t scher.
Hinter ihr war über dem Eingang zum Archiv eine I n schrift eingemeißelt worden, Blattgold auf poliertem Gr a nit. Ein Zitat des Führers:
FÜR EINE JEDE NATION IST DIE RICHTIGE G E SCHICHTE I00 DIVISIONEN WERT.
Rudolf Halder führte März ins Innere und hinauf in den dritten Stock. Er stieß eine Doppeltür auf und trat beiseite, um ihn einzulassen.
Ein Korridor mit Steinwänden und Steinfußboden schien sich ins Unendliche zu erstrecken.
»Ganz schön eindrucksvoll, was?« An seinem Arbeit s platz sprach Halder mit der Stimme des professionellen Historikers, di e gleichzeitig Stolz und Sarkasmus vermitte l te. »Wir nennen diesen Stil pseudoteutonisch. Es wird dich nicht überraschen, daß diese s das größte Archivg e bäude auf Erden ist. Über uns zwei Stockwerke Verwa l tung. Auf diesem Stockwerk: die B ü
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