Vatermord und andere Familienvergnuegen
Gründe dafür, das eigene Leben zu beenden, gewinnt eine letzte poetische Einsicht und wünscht uns dann großzügig und taktvoll alles Gute. Ich sage euch, so ein Abschiedsbrief könnte mir auch gefallen. Er ist jedenfalls verdammt viel besser als der schrottige Abschiedsbrief, den ich mal geschrieben hatte. Darin stand:
»Das Leben ein Geschenk? Und wenn schon. Habt ihr noch nie ein Geschenk zurückgegeben? So was macht doch jeder.«
Das war es. Ich dachte: Warum nicht bis zum bitteren Ende ein griesgrämiger Klugscheißer bleiben? Wenn ich ganz plötzlich edelmütig würde, hätte es einen falschen Beiklang gehabt. Aber ich bin nicht wirklich selbstmordgefährdet. Ich habe diese idiotische Angewohnheit, immer zu denken, dass sich die Dinge bessern werden, auch wenn alle Anzeichen dagegen sprechen, sogar wenn sie schlimmer und schlimmer und schlimmer werden.
Brett wurde in brauner Hose und blauem Hemd begraben. Schick salopp. Mr. White hatte die Kleidungsstücke zwei Tage zuvor gekauft. Sie waren herabgesetzt, aber er soll darauf bestanden haben, den vollen Preis zu bezahlen. Wie ich gehört habe, hat der Verkäufer noch Einwände erhoben. »Zehn Prozent«, hat er gesagt, aber Mr. White hat den Rabatt ausgeschlagen, und der Verkäufer lachte, als Mr. White das geforderte Geld auf die Theke warf und hinausrannte, kopflos in seinem Leid.
Brett lag in seinem Sarg, das Haar zurückgekämmt. Geruch? Haargel. Der aufmodellierte Ausdruck auf seinem halb ausgebluteten, weißen Gesicht? Friedlich entschlafen. Ich dachte: Das ist dein unerschrockener Blick in die Finsternis. Der Moment des Sprungs in die Tiefe. Dein leichtes, verlegenes Stottern, geheilt von seligem Vergessen. Worüber also sollte man traurig sein?
Die Beerdigung fand an einem freundlichen Morgen statt. In diesem zarten, frühlingshaften Lüftchen erschien alles so duftig und leicht und die ganze Sorge nicht wert; man konnte beinahe meinen, Gram sei übertrieben. Die ganze Klasse hatte den Vormittag frei; den Schülern anderer Jahrgänge stand es frei zu kommen, aber es war kein Muss.
Der Friedhof war praktischerweise nur einen Kilometer von der Schule entfernt, also gingen wir alle gemeinsam zu Fuß hin, etwa einhundert Schüler und einige Lehrer, entweder als Trauergäste oder um Aufsicht zu führen oder beides - wenn sie das Zeug dazu hatten. Die meisten hatten für Brett nicht mal ein Hallo übrig gehabt, solange er noch lebte, aber jetzt standen sie an, um Auf Wiedersehen zu sagen.
Wir stellten uns alle um das Grab herum und warteten darauf, dass der Priester anfing, und die Stille um uns herum war so still, dass selbst ein Räuspern einen zu Tode erschrecken konnte. Ich fand, in unseren Schuluniformen sahen wir aus wie Briefträger, die sich versammelt hatten, einen der Ihren postwendend an Gott zurückzuschicken. Ich sah förmlich die saubere Beschriftung vor mir »Zurück an den Absender« auf dem Sarg.
Der Priester begann. Seine Grabrede erreichte mich wie durch einen Kaffeefilter. Sie tröpfelte. Er beschrieb Brett als »dieser Welt müde« (zutreffend), »sterblich und schwach« (stimmte auch) und »begierig, seinem Herrn, unserem Erlöser, gegenüberzutreten« (eher unwahrscheinlich). Zum Schluss sagte er melodramatisch, dass »Selbstmord eine Todsünde« sei.
Halt mal, nicht so schnell!
Na schön, Brett hat sich das Leben genommen, aber er hatte auch Hamlets Frage beantwortet, ohne sich selbst innerlich zu zerfleischen, und selbst wenn Selbstmord eine Sünde ist, gehört Entschlossenheit doch belohnt. Ich meine, Ehre, wem Ehre gebührt. Brett beantwortete Hamlets Frage so freiheraus, wie man ein Kästchen ankreuzt.
o Sein
v Nichtsein
Ich wusste, dass dieser Sermon nichts als uralte Panikmache war, die sich über die Jahrhunderte hinweg erhalten hatte, während Praktiken wie das Ansetzen von Blutegeln bei Schnupfen längst als altmodisch ausgemustert worden waren. Wenn es einen Gott gibt, glaube ich kaum, dass er so ein Hardliner ist. Ich könnte mir eher vorstellen, dass er die Männer und Frauen, die sich das Leben nehmen, begrüßt wie ein erstaunter Polizeichef, wenn ein gesuchter Krimineller sich freiwillig stellt. »Sie!«, würde er vielleicht sagen, nicht unbedingt verärgert, eher enttäuscht, weil er dafür natürlich weder Lob noch Befriedigung einheimsen kann.
Der Sarg wurde hinabgesenkt, und als man die harten Erdklumpen auf den Sargdeckel plumpsen hörte, klang er leer. Brett war dünn. Ich hatte ihm
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