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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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gehst du besser rein und holst ihn«, sagte Anouk.
    Während Reynold und Oscar es sich auf der Couch ungemütlich machten, ging ich Dad holen. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett, in der Seesternstellung.
    Ich sagte: »Reynold Hobbs und sein Sohn sind hier, um mit dir zu sprechen.«
    Dad drehte seinen Kopf zu mir und zog eine höhnische Grimasse. »Was willst du?«
    »Es ist mein Ernst. Anouk meinte, du wärst auf dem besten Weg in eine neue suizidal-depressive Phase. Sie hat sich Sorgen um dich gemacht, darum hat sie in deinen Notizbüchern gestöbert und die Stelle gefunden, wo du angeblich einem großen goldenen Ohr irgendwelche Ideen einflüstern willst. Sie hat mich überredet, mit ihr auf die Suche nach dem größten, goldensten Ohr im ganzen Land zu gehen, was ihr erstaunlicherweise gelungen ist, und jetzt warten sie im Wohnzimmer auf dich.«
    »Wer wartet da?«
    »Reynold Hobbs und sein Sohn Oscar. Sie warten darauf, deine großen Ideen zu vernehmen.« »Du verarschst mich doch.« »Nein. Sieh doch selbst nach.«
    Dad erhob sich vom Bett und spähte um die Ecke. Falls er geglaubt hatte, er könne dies tun, ohne gesehen zu werden, hatte er sich geirrt. Reynold wandte uns langsam sein Gesicht zu und kratzte sich lustlos - wer weiß, ob es ihn wirklich juckte, oder ob er nur eine Schau abzog? -, und als wir näher kamen, schirmte er seine Augen mit der Hand ab, als wären Dad und ich derart strahlende Erscheinungen, dass es das menschliche Auge schmerzte.
    »He«, sagte Dad.
    »He«, gab Reynold zurück.
    »Anouk hat uns erzählt, Sie hätten irgendwelche großen, nicht realisierten Ideen, von denen Sie glauben, sie könnten uns interessieren«, sagte Oscar.
    »Wir verschwenden hier doch nicht unsere Zeit, oder?«, fragte Reynold.
    »Nein, Sie verschwenden nicht Ihre Zeit«, sagte Dad. »Das schwöre ich beim Leben meines Sohnes.« »Dad«, sagte ich.
    »Lassen Sie mir nur eine Minute Zeit, meine Notizen zu ordnen. Ehm, Anouk, könntest du eine Sekunde hereinkommen?«
    Dad und Anouk gingen in Dads Schlafzimmer und machten die Tür hinter sich zu. Ich wäre ihnen ins Zimmer gefolgt, aber ich wollte Reynold und Oscar nicht den Eindruck vermitteln, ich hätte Angst davor, mit ihnen allein zu bleiben, obwohl genau das der Fall war. Wir alle nickten uns irgendwie gegenseitig zu, aber Nicken erschöpft sich nach einigen Sekunden. Also sagte ich: »Ich frage mich, was sie so lange aufhält«, und ging ins Schlafzimmer, wo Anouk auf Dads Bett saß, während er selbst auf dem Boden neben einer Ansammlung alter schwarzer Kladden kauerte, in denen er hektisch blätterte. Es war ein beunruhigender Anblick. Ich hörte ihn zischen: Seine Panik kochte über. Anouk schnitt ein Gesicht - ein Gesicht, von Befürchtung gezeichnet.
    »Was stehst du hier herum?«, fragte mein Vater gereizt, ohne hochzuschauen. »Bist du so weit?«
    »Er hat sich noch nicht für eine Idee entschieden«, sagte Anouk.
    »Sie warten.« »Ich weiß!«
    »Du hast es bei meinem Leben geschworen, erinnerst du dich?« »Na schön«, sagte Anouk, »jetzt beruhigen wir uns mal alle.« Es klopfte an der Tür.
    »Mach das Licht aus!«, flüsterte Dad mir eindringlich zu.
    »Dad, sie haben uns hier reingehen sehen.«
    »Was geht mich das überhaupt an? Ist doch eine Schnapsidee.«
    Dad schnappte sich eine Handvoll Notizbücher und ging damit hinaus ins Wohnzimmer. Anouk und ich folgten. Dad setzte sich in den Sessel, blätterte langsam eine seiner Kladden durch und schnalzte mit der Zunge. »So... ja... die Idee... ich habe mehrere, die für Sie von Interesse sein könnten...«
    Er blätterte sein Notizbuch durch bis zur letzten Seite und klappte es dann zu - anscheinend war die Idee doch nicht drin, denn er zog ein anderes identisch aussehendes Notizbuch hervor. Wieder hastiges Blättern, Zungenschnalzen, unruhige Augäpfel. Auch dieses Notizbuch gab nichts her. Es folgte ein drittes schwarzes Büchlein. »Ich muss nur... oh, ja, das ist etwas, das Sie - nein, wahrscheinlich nicht... Moment... nur noch eine Sekunde... noch eine Sekunde... ich schwöre... fünf Sekunden - fünf, vier, drei, zwei, eins, und der Gewinner ist... uhm, nur noch eine Sekunde.« Ein winziges Würmchen von einem Lächeln kroch über Reynolds Gesicht. Ich hätte es gern mit dem Fuß eines Elefanten zerstampft. Schon in guten Zeiten hasste ich es, meinen Vater in seiner selbst geschaffenen Hölle zappeln zu sehen, aber angesichts der Geringschätzung von Außenstehenden war es

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