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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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besser so. Mir lag sowieso nichts daran, dass mich eines Tages jemand anbrüllte: »An dich habe ich die besten Jahre meines Lebens verschwendet.« So lagen die besten Jahre ihres Lebens wenigstens noch vor ihr.
    Und warum? Vielleicht war sie sauer, weil ich ihre Tränen getrunken hatte, und vielleicht war sie noch in ihren Exfreund verliebt, aber ich wusste, dass Dad irgendwas gesagt hatte, das den endgültigen Ausschlag gab. Bloß was? Was hatte er gesagt? Was hatte er verdammt noch mal gesagt? Das ist es, dachte ich. Mir ist egal, was er tut, soll er ein Handbuch des Verbrechens schreiben, eine Vorschlagsbox aufstellen, eine Stadt niederbrennen, einen Nachtclub zerstören, in die Psychiatrie eingewiesen werden, ein Labyrinth anlegen - aber mein Liebesleben durfte er nicht mal mit dem kleinen Finger antasten.
    Er war ein stinkendes Pandämonium, und ich würde mir von ihm nicht länger mein Leben versauen lassen. Wenn das Inferno mit mir Schluss machte, konnte ich mit ihm Schluss machen. Ist mir egal, was die Leute sagen, aber man kann mit der eigenen Familie Schluss machen.
    Auf dem Heimweg plante ich, all meine Energie zusammenzunehmen und sie mitten hinein in seine Scheißfresse explodieren zu lassen.
    Ich marschierte direkt in sein Haus. Das Licht war aus. Ich schloss die Tür auf und schlich mich hinein. Aus seinem Schlafzimmer drang ein seltsamer Laut. Er weinte wohl wieder mal. Aber es klang nicht nur wie Weinen. Es klang wie Schluchzen. Na und? Ich widerstand dem Lockruf des Mitleids. Ich ging hin und machte die Tür auf, und was ich sah, war so schockierend, dass ich nicht einmal den Anstand hatte, die Tür zu schließen. Dad war mit Anouk im Bett.
    »Raus hier!«, schrie er.
    Es wollte mir einfach nicht in den Kopf. »Wie lange läuft das schon?«, fragte ich.
    »Jasper, scher dich gefälligst raus hier!«, brüllte Dad noch einmal.
    Ich wusste, ich hätte mich rausscheren müssen, aber meine Füße schienen ebenso verblüfft zu sein wie ich. »Was für ein Witz!« »Warum ist das ein Witz?«, fragte Dad. »Was hat sie davon?« »Jasper, lass uns allein!«, rief Anouk.
    Ich verließ das Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Das war wirklich ein Schlag ins Gesicht. Anouk hatte nicht mit mir schlafen wollen, aber mit meinem Vater war sie ins Bett gehüpft. Und das mit meinen Kondomen - iiiiii! Und was hatte sie bei Dad verloren, wenn doch Oscar Hobbs versucht hatte, sie ins Bett zu kriegen? Lief hier irgendeine erbärmliche Soap? Dad war ein Mann, der den Großteil seines Lebens fern aller zwischenmenschlichen Beziehungen verbracht und sich nun ausgerechnet mit seiner einzigen Vertrauten auf eine eingelassen hatte; sollte es dabei irgendwie logisch zugehen, würde er sich als der stumpfste Winkel in einer Dreiecksaffäre wiederfinden, und natürlich würde er sie verlieren.
    Tja, das war nicht länger mein Problem.
     
    Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Ich entschied, dass es das Praktischste sein würde, mir ein Zimmer in einem Haus voller Junkies zu nehmen, irgendwas Billiges, Bezahlbares, damit meine mageren Ersparnisse nicht komplett für ein Dach über dem Kopf draufgingen. Ich antwortete auf etliche Kleinanzeigen in der Zeitung. Es gab nicht viele Anzeigen, die nicht ausdrücklich nach einer, in Großbuchstaben, FRAU suchten. Es schien allgemeine Meinung zu sein, dass Männer den evolutionären Sprung nicht geschafft hatten, der es ihnen erlaubte, ihren Krempel selbst aufzuräumen. Die Wohnungen und Häuser, in denen Männern ein Existenzrecht zugestanden wurde, waren nicht schlecht, aber leider alle schon von anderen Menschen bewohnt. Das hatte ich natürlich von vornherein gewusst, aber erst als ich diesen anderen Menschen leibhaftig gegenüberstand, wurde mir klar, dass ich allein leben musste. Man erwartet, dass wir einigermaßen zivilisiert im Umgang miteinander sind, und das nicht nur ab und zu, sondern jeden Tag. Und was, wenn ich sechs Stunden in meiner Unterhose rumsitzen und aus dem Küchenfenster glotzen wollte? Nein, die Einsamkeit des Lebens in einer Hütte inmitten eines Labyrinths hatte mich für das Miteinander untauglich gemacht.
    Am Ende entschied ich mich für eine Einzimmerwohnung und nahm gleich die erste, die ich besichtigte. Ein Zimmer, ein Bad und ein Raumteiler zwischen dem Wohnbereich und der kleinen Küchenzeile an einer Wand. Nichts allzu Sensationelles. Sie hatte nichts, über das man hätte sagen können: »Und seht euch mal das an! Sie hat sogar  

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