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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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        !« Sie hatte gar nichts. Es war nur ein Zimmer. Ich unterschrieb den Mietvertrag, zahlte die Miete und die Kaution und nahm meine Schlüssel in Empfang. Ich ging hinein, setzte mich in dem leeren Raum auf den Boden und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Ich mietete mir einen Van, fuhr nach Hause zu meiner Hütte und schmiss all meine wertvollen Besitztümer hinein.
    Dann ging ich zum Haus. Dad stand in der Küche und trug den Morgenmantel, an dem immer noch das Preisschild hing. Er pfiff atonal vor sich hin und kochte dabei Nudeln.
    »Wo ist Anouk?«, fragte ich.
    »Weiß nicht genau.«
    Vielleicht bei Oscar Hobbs, dachte ich.
    Die Nudelsoße blubberte, und in einem anderen Topf schien er Gemüse so lange zu kochen, bis ihm auch noch die letzten Geschmacksnuancen entzogen waren. Er betrachtete mich mit ungewohnter Zuneigung und sagte: »Ich kann verstehen, dass du ein bisschen geschockt bist. Wir hätten es dir sagen müssen. Aber jetzt weißt du ja Bescheid. He - vielleicht können wir vier ja mal gemeinsam ausgehen?«
    »Wir vier wer?«
    »Anouk und ich und du und deine Kleine.« »Dad, ich gehe weg.« »Ich meinte ja nicht heute Abend.« »Nein, ich gehe weg weg.« »Weg weg? Du meinst... du ziehst weg?« »Ich habe mir eine Wohnung in der Stadt gesucht. Ein kleines Apartment.«
    »Du hast schon was gefunden?«
    »Ja... hab die Kaution und die ersten zwei Wochen Miete bezahlt.«
    Ein Zittern durchlief ihn, ein sichtbares Zittern.
    »Und du ziehst wann aus?«
    »Jetzt.«
    »Jetzt auf der Stelle?«
    »Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.« »Was ist mit deinen Sachen?«
    »Ich habe einen Van gemietet. Alles, was ich brauche, ist schon gepackt.«
    Dad dehnte seine Gliedmaßen auf merkwürdige Weise und sagte mit einer hohlen, künstlichen Stimme: »Du lässt mir keine große Wahl bei dieser Sache.«
    »Das wohl nicht.«
    »Was ist mit deiner Hütte?«
    »Die nehme ich nicht mit.«
    »Nein, ich meine...«
    Er ließ den Satz unvollendet. Er wusste nicht, was er meinte. Dad begann, hörbar durch die Nase zu atmen. Er versuchte, nicht erbarmungswürdig auszusehen. Ich versuchte, mich nicht schuldig zu fühlen. Ich wusste, dass er mit mir den einzigen Menschen verlor, der ihn verstehen konnte. Aber ich hatte auch aus anderen Gründen ein schlechtes Gewissen; ich fragte mich, was aus seinem Verstand werden würde. Und wie konnte ich ihn mit diesem Gesicht stehen lassen? Diesem traurigen, einsamen, verängstigten Gesicht?
    »Brauchst du Hilfe beim Umzug?«
    »Nein, geht schon.«
    Es war, als hätten wir beide unser Leben lang ein Spiel gespielt und dieses Spiel wäre nun zu Ende und wir müssten unsere Masken und Uniformen ablegen, uns die Hand schütteln und sagen: »Tolles Spiel.«
    Aber das taten wir nicht.
    Plötzlich war meine gesamte Verbitterung, mein ganzer Hass auf ihn verpufft. Er tat mir entsetzlich leid. Ich sah ihn als Spinne, die aufwachte und sich für eine Fliege hielt und nicht kapierte, dass sie in ihrem eigenen Netz gefangen war.
    »Also, ich mache mich mal lieber auf den Weg«, sagte ich.
    »Hast du eine Telefonnummer?«
    »Noch nicht. Ich rufe dich an, wenn das Telefon angeschlossen ist.«
    »Schön. Na dann, tschüss.« »Bis bald.«
    Als ich mich umdrehte und hinausging, gab Dad einen kleinen, gluckernden Grunzlaut von sich, es klang, als rumore es in seinen Eingeweiden.
     

TEIL FÜNF
    Anmerkung des Autors: Meine ursprüngliche Version dieses Teils landete im Schredder, nachdem ich unter den Papieren meines Vaters die ersten fünf Kapitel seiner nie vollendeten Autobiografie entdeckt hatte. Ich war gerade damit fertig, mir die Geschichte meines Lebens von der Seele zu schreiben, und war, offen gestanden, stinksauer - vor allem, weil seine Schilderungen den Ereignissen dieses Lebensabschnitts besser gerecht werden. Seine Version war knapper und schlüssiger, weil sie nicht meinen längeren Exkurs über die neueste Schwemme von Kalendern mit sexy Priesterinnen enthielt, und es nervte mich auch, dass sie vieles in meiner eigenen Darstellung widerlegte (sogar einiges aus dem vorangegangenen Teil vier), die eine wirklich schwere Geburt war. Dennoch habe ich unter dem Einfluss meiner beiden Leitgestirne Ungeduld und Faulheit an Teil vier nicht einen einzigen Satz berichtigt und mich dazu entschieden, Dads unvollendete Autobiografie hier leicht überarbeitet als Teil fünf abzudrucken. Meine Version von Teil fünf muss noch irgendwo herumfliegen - ich habe sie tatsächlich

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