Vatermord und andere Familienvergnuegen
Schlafengehen packte ich ein paar Dinge für die Reise ein. Wir hatten nur sehr wenig nach Thailand mitgebracht, und für die Rückkehr packte ich sogar noch weniger zusammen - für jeden eine Garnitur Wäsche zum Wechseln, zwei Zahnbürsten, eine Tube Zahnpasta und zwei Fläschchen mit Gift, die Terry mit zitternder Hand beim Abendessen hervorgezogen hatte. »Hier, das ist für dich, Neffe«, hatte er gesagt und mir die beiden kleinen Plastikampullen gegeben, die mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllt waren. »Für den Fall, dass sich die Reise als endlos erweist oder auf den Grund des Meeres führt. Wenn euch nur die Wahl zwischen Verhungern oder Ertrinken bleibt, voilá, eine dritte Option!« Er hatte mir versichert, dass es sich um ein schnell wirkendes und relativ schmerzloses Gift handelte, auch wenn ich eine Weile über das Wort »relativ« nachsann. In dem Umstand, dass wir nicht ganz so lang heulend im Todeskampf liegen würden wie bei den anderen Giften, lag für mich kein Trost. Ich versteckte die Plastikröhrchen in einer Reißverschlusstasche an der Außenseite meiner Reisetasche.
Ich tat die ganze Nacht kein Auge zu. Ich dachte an Caroline und dass ich sie nicht hatte retten können. Was für eine Enttäuschung mein Gehirn doch war! Nach allem, was ich im Leben mit angesehen hatte, war ich fast zu der Ansicht gelangt, dass das Rad der eigenen Geschichte durch Gedanken angetrieben wird. Und weil meine Gedanken so wirr gewesen sind, ist auch meine Lebensgeschichte so wirr gewesen. Ich stellte mir vor, dass sich in allem, was mir bislang widerfahren war, wahrscheinlich meine Ängste materialisiert hatten (vor allem die Angst vor den Ängsten meines Dads). Kurzum, ich hatte eine Weile geglaubt, wenn der Charakter eines Mannes sein Schicksal ist und sein Charakter die Summe seiner Taten, und wenn diese Taten wiederum Ergebnis seiner Gedanken sind, dann wären folglich der Charakter eines Menschen, seine Taten und sein Schicksal abhängig davon, was er denkt. Nun war ich mir dessen nicht mehr so sicher.
Eine Stunde vor Sonnenaufgang, als es an der Zeit war, zum Boot zu gehen, war Dad immer noch nicht zurück. Ich stellte mir vor, dass er sich entweder in Bangkok verlaufen hatte, müde, weil er die ganze Nacht lang Prostituierte heruntergehandelt hatte, oder dass er sich gerade in irgendeinem schicken Hotel in einem Schaumbad aalte, weil er sein Reisevorhaben aufgegeben hatte, ohne uns darüber zu informieren.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Terry.
»Gehen wir runter zum Hafen. Vielleicht taucht er ja dort auf.«
Zum Hafen war es eine halbstündige Fahrt, erst durch die verstopfte Stadt und dann durch baufällige Vororte, die an ein riesiges eingestürztes Kartenhaus erinnerten. Wir parkten neben einem langen Pier. Die Sonne stieg über den Horizont und glomm durch den Dunst. Über uns konnten wir Wolken in der Form abgehackter Köpfe erkennen.
»Da ist es«, sagte Terry.
Als ich den Fischkutter, unseren abgetakelten potenziellen Sarg sah, verkrampfte sich mir alles. Es war ein elendes Holzboot, das wie ein hastig aufgemöbeltes Relikt aus grauer Vorzeit aussah. Darin werden wir also wie Dorschleber verstaut, dachte ich, und was anderes sind wir ja auch nicht.
Es dauerte nicht lange, bis die Asylsuchenden, die Flüchtlinge, in ängstlichen, misstrauischen Zweier- und Dreiergrüppchen aufzutauchen begannen. Es waren Männer, Frauen und Kinder. Ich nahm meine eigene Zählung vor, während sie sich auf dem Pier versammelten - acht... zwölf... siebzehn... fünfundzwanzig... dreißig... Es kamen immer mehr. Es schien unmöglich, dass dieses kleine Boot uns alle aufnehmen sollte. Mütter pressten zum Abschied ihre Söhne und Töchter an sich. Mir war zum Heulen zumute. Man kann sich nicht davor verschließen, wie bitter es ist, wenn Eltern das Leben ihrer Kinder riskieren, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Doch hier waren sie! Die Flüchtlinge! Hier waren sie und stellten anschaulich dar, dass Hoffnung und Verzweiflung unzertrennliche Zwillinge waren. Verstohlen drängten sie sich zusammen und musterten den Fischkutter mit großem Argwohn. Das waren keine Dummköpfe. Sie wussten, dass ihre Chancen fifty-fifty standen. Dieser verrottete Kahn sollte ihre Erlösung sein? Sie waren zutiefst skeptisch. Ich musterte sie und fragte mich: Werden wir zu Kannibalen werden, bevor die Reise beendet ist? Werde ich den Oberschenkel dieses Mannes da essen und das Blut jener Frau dort mit einem Gläschen
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