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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Betrunkenen war das Tollste, was sie seit Jahren gesehen hatten. Ob sie wohl sehen konnten, dass meine Mutter weinte? O ja, auch das bekamen sie zu sehen; sie konnten es durch ihre Zoomobjektive beobachten.
    Nachdem es uns gelungen war, sie vors Haus auf den Rasen zu dirigieren, versuchte ich, vernünftig mit ihnen zu reden.
    »Bitte gehen Sie jetzt«, bat ich sie eindringlich.
    »Wo ist Ihr Bruder?«, fragten sie.
    »Da drüben!«, rief ich und zeigte hinter sie. Sie fuhren herum wie die Idioten. Als sie sich wieder zu mir umwandten, sagte ich: »Angeschmiert.«
    Ein schäbiger Triumph.
     
    Ich hatte Caroline die Wahrheit gesagt. Die ganze Zeit über hatte ich weder von Terry noch von Harry ein Wort gehört, und ich hatte es auch immer noch nicht geschafft, mich zu ihrem Unterschlupf in der Vorstadt durchzuschlagen. Ich fühlte mich von allem abgeschnitten, und meine angeborene Neugier nagte an mir. Ich hatte die Nase voll davon, mich auf unzuverlässige Zeitungsberichte und Hörensagen zu verlassen. Ich wollte Informationen aus erster Hand. Ich glaube, ein Teil von mir wollte auch irgendwie daran beteiligt sein; vielleicht nicht an den eigentlichen Morden, aber doch zumindest als Augenzeuge. Bei allem, was bisher in Terrys Leben geschehen war, hatte ich einfach irgendwie dazugehört. Und da wollte ich wieder hin. Ich wusste, dass der Moment, in dem ich in seine Welt eintrat, mein Leben für immer verändern würde. Und ich behielt recht.
    Es war Zeit, einen neuen Versuch zu wagen. Ich durfte mich nicht darauf verlassen, dass die Polizei die Lust verloren hatte, mich zu beschatten. Ich verbrachte den Nachmittag damit, eine labyrinthische Spur durch den Busch zu legen, dann ging ich über eine große, kahle Lichtung und sah mich alle paar Minuten um, ob mir jemand folgte. Nichts. Keiner zu sehen. Zur Sicherheit ging ich dann die fünf Meilen bis zum nächsten Ort und bestieg dort den Bus.
    Zu meiner Überraschung war die Rasenfläche vor dem Vorstadthäuschen nicht mehr perfekt geschnitten. Der Kombi in der Auffahrt war fort. Die Rollos waren heruntergelassen. Es sah aus, als wären für die nette Familie von nebenan, als die sie sich ausgegeben hatten, schwere Zeiten angebrochen.
    Die Haustür ging auf, kaum dass ich die Auffahrt betreten hatte. Harry musste am Fenster auf Beobachtungsposten gewesen sein.
    »Schnell! Schnell rein hier!«
    Ich huschte ins Haus, und Harry verriegelte die Tür hinter mir. »Ist er hier?«, fragte ich.
    »Nein, ist er nicht, und das Arschloch lässt sich auch besser nicht mehr in meiner Nähe blicken, wenn er keine Kugel in den Kopf kriegen will!«
    Ich folgte Harry ins Wohnzimmer, wo er sich aufs Sofa fallen ließ. Das tat ich auch. »Marty, dein Bruder ist publicitysüchtig! Ich kann ihn nicht bremsen! Die basisdemokratische Verbrechenskooperative ist am Ende! Ein Scherbenhaufen! Mein Lebenstraum! Die ganze Sache ist vollkommen schiefgelaufen. Terry hat uns alles versaut. Er muss ja unbedingt berühmt sein und alle meine Ratschläge in den Wind schlagen! Er war fast wie ein Sohn für mich. Aber kein Sohn würde einem derart ins Gesicht pissen. Gut, ich hab keine Kinder, aber selbst wer welche hat, rechnet nicht damit, so angepinkelt zu werden. Naja, vielleicht solang sie klein sind, aber dann doch nicht mehr. Und guck dir an, wofür er das alles kaputt gemacht hat! Er geht Sportler, Footballspieler und Buchmacher an! Und er raubt sie nicht einmal aus, er reißt sie nur in Stücke! Wie soll denn dabei Kohle rüberkommen? Und weißt du, was noch? Hast du die Zeitungen gelesen? Alle glauben, es sei seine Gang! Nicht meine, seine! Tja, ist sie aber nicht. Es ist meine! Meine, gottverdammt noch mal! Gut, ich wollte, dass wir anonym bleiben, aber wenn, dann müssen wir auch alle anonym bleiben, und wenn nicht, dann will ich die Anerkennung, die ich verdiene! Jetzt ist es zu spät. Er hat mich in den Schatten gestellt. Kriminelle, die ich seit fünfzig Jahren kenne, denken, ich würde für ihn arbeiten! Das ist wie ein Schlag ins Gesicht! Eine Demütigung! Aber ich habe einen Plan. Dazu brauche ich deine Hilfe. Komm mal mit, ich will dir was zeigen.«
    Harry stand auf und humpelte zu seinem Schlafzimmer. Ich folgte ihm. Es war das erste Mal, dass ich Harrys Schlafzimmer sah. Außer seinem Bett befand sich nichts darin. Rein gar nichts. Selbst in seinem eigenen Zimmer war er völlig anonym.
    Er griff unter die Matratze und zog ein dickes Papierbündel hervor.
    »Ich dachte, die

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