Vatermord und andere Familienvergnuegen
hätte ich nicht tun sollen, aber deswegen meine Existenz zu ruinieren! Zehntausend Bücher, die ich nicht verkaufen kann! Und ich kann nicht mal jemanden verklagen, denn ich habe das Ganze schließlich abgezeichnet. Ich höchstpersönlich hab das Buch in der Druckerei abgeliefert. Natürlich hat sie selbst damit auch alles verloren, aber das ist ihr egal. So sind rachsüchtige Frauen eben. Das sei es ihr wert, sagt sie, solange es mich unter die Erde bringt... Ist Ihnen schon je eine solche Gehässigkeit untergekommen? Wohl kaum. Jetzt warte ich darauf, dass mir die Gläubiger die Tür einrennen. Ich kann nicht mal mehr die Miete für dieses Büro bezahlen. Also, so gerne ich auch Ihre amüsante Satire veröffentlichen würde...«
»Es ist keine Satire.«
»Nicht?«
»Nein.«
Er blickte auf das Manuskript und blätterte es hastig durch. »Das ist ernst gemeint?« Ich nickte.
»Dann wäre das also eine Gebrauchsanweisung für angehende Kriminelle?«
Ich nickte wieder.
»Wir könnten beide in den Knast kommen, wenn wir das veröffentlichen.«
»Das Risiko würde ich eingehen, wenn Sie es auch tun.«
Er warf sich in seinen Stuhl und murmelte: »Was sagt man denn dazu?« Dann sah er erneut ins Manuskript und sagte einen Moment später: »Nun, denn.«
Einen Moment lang schloss er die Augen. Dieser Moment schien ewig zu währen, aber vermutlich war er nur halb so lang.
»Wieso kommen Sie gerade zu mir?«, fragte er. »Alle anderen haben abgelehnt.«
»Natürlich haben sie das«, sagte er glucksend. Das schien ihn unendlich zu amüsieren.
Sein Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln, und er sprang auf, als rufe ihn die Pflicht. Sein Lächeln wurde so breit, dass meine Mundwinkel zu schmerzen begannen.
Ich rannte den ganzen Weg bis zu Harrys Haus und stolperte die Eingangstreppe hoch. Ich war so aufgeregt, dass ich beinahe das Klopfzeichen vergessen hätte. Es war auch zu kompliziert. Viermal Klopfen, Pause, einmal Klopfen, Pause, dreimal Klopfen, dann musste ich sagen: »He, Harry. Ich bins, Martin.« Wenn du mich fragst, hätten wir das Klopfen auch weglassen können, doch Harry war da unbeugsam. Ungeschickt begann ich zu klopfen: zwei... Pause... drei - nein, besser noch mal von vorne... Ich hörte, wie drinnen eine Pumpgun durchgeladen wurde. »Ich bins, Harry!«, rief ich völlig verwirrt. Ich erkannte meinen Fehler und duckte mich in Erwartung eines Hagels von Schrotkörnern. Nichts passierte. Ein mehrfaches Klicken und dann das Zurückgleiten von Riegeln. Das war die umständliche Routine, die Tür zu entriegeln. Es dauerte. Anscheinend hatte er noch ein paar neue Riegel angebracht. Langsam glitt die Tür auf. Harry stand in Unterwäsche da, in der einen Hand die Schrotflinte, in der anderen eine Axt. In seinen Augen loderten Tod und Verzweiflung. Ich hielt es nicht länger aus und platzte mit den Neuigkeiten heraus.
»Ich hab einen Verlag gefunden! Der Verleger findet das Buch toll! Er ist aus England und mit Skandalen groß geworden! Er hat keine Angst, was zu riskieren. Er liebt dein Buch! Er lässt alles so, wies dasteht! Das Buch geht direkt in Druck!«
Harry brachte keinen Ton heraus. Er stand da wie eine Salzsäule. Hast du schon mal gesehen, wie es ist, wenn jemand gute Nachrichten nicht verkraftet? Das ist zum Totlachen.
»Waaa-was hast du da gesagt?«
»Wir habens gescharrt! Dein Buch wird ein Buch!«
Erleichterung, Furcht, Liebe, Entsetzen, Stolz - sein Gesicht war ein Kampfplatz von Emotionen. Auch beim selbstsichersten Egomanen gibt es irgendwo ganz versteckt einen Teil, der einfach nicht glauben kann, dass jemals irgendetwas gut geht. Und bei Harry war dieser Teil in Aufruhr. Es kam einfach zu unerwartet. Harrys außersinnliche Wahrnehmung hatte einen blinden Fleck, weil diese pessimistische Stimme das prophetische Geflüster seines dritten Auges übertönte. Er lachte und weinte, er stieß seine Schrotflinte in die Luft und drückte ab. Die Decke kam in Form großer Putzklumpen auf uns herunter. Es war fürchterlich. Er umarmte mich. Wir tanzten durch die Diele, aber so richtig Spaß machte es nicht, denn Harry hielt immer noch die Schrotflinte und die Axt in den Händen. Er versuchte erneut, mich auf den Mund zu küssen, doch diesmal war ich auf dem Quivive. Ich bot ihm meine Wange dar, er küsste mein Ohr. Während wir uns weiter im Tanz drehten, fegte sein lahmes Bein unkontrolliert herum und stieß das Beistelltischchen um. Endlich! Sein Buch! Sein Baby! Sein Vermächtnis!
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