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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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Ludgeristraße zur Schützenstraße. Manchmal gehe ich auch zu Fuß und lasse mir Zeit. An einigen Ecken der Stadt werden immer noch Trümmer geräumt. Das erledigen Arbeiter aus Holland, die morgens mit dem Zug kommen und abends wieder zurückfahren. Oder französische und russische Kriegsgefangene, die unter Bewachung arbeiten und in Lagern vor der Stadt untergebracht sind.
    Auf den Straßen ist nicht viel Verkehr. Die Straßenbahn fährt, und Pferdefuhrwerke sind unterwegs. Droschken und private Autos sind selten. Mir fällt auf, dass fast nur Frauen unterwegs sind. Aber das ist der Krieg. Im
Capitol
auf der Ludgeristraße läuft der Film
Auf Wiedersehen, Franziska.
Mir gefällt die Vorstellung, mit Werner in einen Liebesfilm zu gehen, in den roten, tiefen Plüschsesseln zu versinken, die Hand auf die Holzlehne zu legen und darauf zu warten, dass Werners Hand sich wie zufällig auf meine verirrt …
     
    Ende August ist in der Schule einiges los. Endlich ziehen wir in den fast fertigen Erweiterungsbau, denn unser altes Schulgebäude an der Grünen Gasse ist schon lange viel zu klein. Der Neubau ist ein langgestrecktes Gebäude parallel zur Schützenstraße. Die Fassade ist sehr schlicht und längst nicht so schön wie der barocke Altbau mit der Inschrift
Katholische höhere Mädchenschule
über dem Hauptportal. Von den Flurfenstern im Obergeschoss kann man über den Aasee blicken.
    Die neuen Räume sind groß, hell und freundlich. Es riecht noch nach Wandfarbe und frischem Bohnerwachs. Es gibt keine starren Doppelbänke mit Tintenfässern und Griffelkästen in den Pulten mehr, sondern Tische mit Drehstühlen. Das ist schon etwas Neues.
    Den Umzug erledigen natürlich wir Schülerinnen. Da wird eingepackt, geschleppt und ausgepackt. Das Schulkreuz hängt jetzt an der Seitenwand des Klassenzimmers. Der Platz neben der Tafel gehört einem Bild des Führers.
    Schon zwei Mal haben wir bei Fliegeralarmen in den neuen Luftschutzräumen im Keller der Schule gesessen. Die Flugzeuge kommen jetzt auch tagsüber. Es sind meistens wenige Maschinen. Unsere Lehrer sagen, dass das Aufklärer sind und wir auf schwere Angriffe gefasst sein müssen. Meine Angst ist immer die gleiche, egal wie viele Bomber am Himmel dröhnen oder in welchem Keller ich sitze und auf die Entwarnung warte.
    Nach den Sommerferien sind einige Lehrer nicht an die Schule zurückgekehrt. Sie sind zur Wehrmacht eingezogen worden. Auch unser Geschichtslehrer Herr Wessels ist im Krieg.
    »Ich vertrete Herrn Wessels«, sagt der weißhaarige alte Mann, der eines Tages in die Klasse kommt. Er schreibt
A. Ackermann
an die Tafel und sagt: »Das ist mein Name. Ackermann, Antonius Ackermann. Ich bin ab heute euer Geschichtslehrer.« Ich mag ihn sofort, seine sanfte Stimme und seinen Namen. Er ist schon pensioniert, 70 Jahre alt, und er ist gebeten worden, den Unterricht zu übernehmen. »Und darüber habe ich mich sehr gefreut. Wisst ihr, ich habe fast mein ganzes Leben in der Schule verbracht, als Schüler und als Lehrer, und für mich gibt es nichts Schöneres.«
    Ein Stöhnen geht durch die Klasse. Ein »O Gott!« ist zu hören, und jemand sagt: »Das hätte mir gerade noch gefehlt.«
    Herr Ackermann beendet diesen kleinen, lebhaften Tumult, indem er beschwichtigend die Hände hebt und sagt: »Aber meine Damen, ich bitte doch.« Herr Ackermann hat etwas liebenswert Altmodisches, als käme er aus einer anderen Zeit.
    Er sagt: »Wie ich sehe, ist eure nationalsozialistische Haltung einwandfrei. Ihr tragt eure BDM -Uniform auch im Unterricht, und unser Führer hängt an einem Ehrenplatz an der Wand.«
    Herr Ackermann steht von seinem Stuhl am Lehrerpult auf, verschränkt seine Arme auf dem Rücken und beginnt, in der Klasse herumzulaufen. Sein Rücken ist leicht gebeugt und sein Gang leicht schlurfend. Seine Schuhsohlen quietschen bei jedem Schritt auf dem frisch gebohnerten Fußboden. Er bleibt unter dem Bild des Führers stehen.
    »Die Geschichte des Nationalsozialismus und das Leben des Führers sind euch bekannt.« Herr Ackermann geht zu seinem Pult zurück. Sein Blick schweift über unsere Köpfe. »Die Begriffe ›Volksgemeinschaft‹, ›Rassenkunde‹ und ›Führerprinzip‹ sind euch in Fleisch und Blut übergegangen.«
    Er nimmt nun den Mittelgang zwischen den Tischreihen. Alle Augen folgen ihm. An der Wand bleibt er stehen.
    »Nun, da habe ich mir gedacht, wir gehen in der Zeit mal etwas zurück. Und zwar bis ins 18. Jahrhundert, wir beschäftigen uns

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