Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
vorhat?«, so mault sie herum.
»Lass ihn doch«, sage ich, »der ist harmlos, etwas schrullig vielleicht. Und sein Unterricht ist spaßig, findest du nicht?«
Franziska tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Spaßig? Bei dir piept’s wohl. Ich werde mal meinen Vater fragen, was der von solchen Späßen hält. Spaßig!«
»Mein Vater spricht oft von uns Deutschen als dem Volk der Dichter und Denker. Aber er sagt auch, dass das Dichten und Denken keinen Arbeitslosen von der Straße geholt und keinem Hungernden geholfen hat. Das haben wir nur der Tatkraft und dem Genie des Führers zu verdanken. Denke nur an Marias Vater. Der hat Arbeit gefunden. Die sind jetzt eine richtige deutsche Familie.«
»Genau«, sagt Franziska, »dein Vater ist eben kein Schwätzer, sondern ein aufrechter Volksgenosse.«
Ich lenke ab. »
Auf Wiedersehen, Franziska
, hast du den schon gesehen?«
»Was? Ach so, du meinst den Film im
Capitol
. Der ist wirklich toll. Eine Frau zwischen zwei Männern, und am Ende entscheidet sie sich für das Richtige.«
»Oder den Richtigen?«, sage ich und grinse. »Aber verrate mir nicht alles. Vielleicht kann ich Werner überreden.«
»So, so. Du und Werner Reuter. Na ja, ein hübsches Paar seid ihr.« Sie sieht mich mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck an.
»Ach, lass mal. So weit sind wir noch lange nicht.«
Wir albern noch eine Weile herum, und Herr Ackermann ist vergessen. Und Mathilda auch. Fast.
Am nächsten Morgen ist meine Tischnachbarin Anna wieder da. Ihr Vater ist in Russland gefallen, und sie hat eine Woche gefehlt. Alle versuchen, sie zu trösten und ihr ein aufmunterndes Wort zu sagen. Aber eigentlich sind wir hilflos.
Anna sitzt schluchzend da und erzählt von dem Tag, als die Männer kamen und der Mutter und ihren drei Geschwistern die traurige Nachricht brachten. Ihre Mutter hat immer wieder gerufen, sie wolle ihren Mann zurück, und immer wieder nach dem Warum gefragt. Die Männer waren sachlich und haben Ausdrücke wie »für Führer, Volk und Vaterland« und »Heldentod« und »Tapferkeit« gebraucht.
»Ich pfeif auf den Helden. Ich will meinen Mann zurück«, hat Annas Mutter geschrien. »Ich pfeif auch auf den Führer.«
Anna erzählt, dass die Männer sich danach ganz schnell zurückziehen wollten. Sie meinten in einem strengen Ton, sie solle aufpassen, was sie sage. Sie könnten zwar ihre Traurigkeit verstehen, aber sie duldeten keine Beleidigungen des Führers. Wegen der Formalitäten möge sie im Amt vorsprechen.
Der Führer kümmert sich um alle
, sagten sie, und dass der Sold weitergezahlt werde und Krankenkosten für sie und ihre Töchter ab sofort übernommen würden. »In den nächsten drei Monaten jedenfalls und dann sehen wir weiter. Kopf hoch und herzliches Beileid, gute Frau. Heil Hitler.«
»Mein Vater war kein Held«, heult Anna. »Der hatte Angst. Mein Vater wollte nur nach Hause.«
Ich nehme Anna in den Arm und versuche sie zu trösten. Die anderen aus der Klasse bilden einen Kreis und stehen ratlos, traurig und sogar weinend um uns herum.
Franziska drängt sich dazwischen und sagt: »Die Männer haben recht, Anna. Dein Vater ist heldenhaft gestorben, und du beschmutzt sein Andenken und erzählst was von Angst. Ich an deiner Stelle wäre stolz auf meinen Vater! Er ist ein Vorbild für mich und für uns alle!« Seit Franziska weiß, dass sie im Januar nach Berlin
in die Nähe des Führers
zieht, ist sie einfach nicht mehr zu bremsen.
Ich schaue Franziska böse an. Jetzt geht sie wirklich zu weit. »Mensch, Franziska. Halt doch mal deinen Mund.«
Bei Fräulein Steinbrede in Biologie nehmen wir im Prüfungsfach Rassenkunde die Mendel’schen Gesetze und das
Gesetz von der Auslese in seiner Bedeutung für die Erhaltung der Arten und Rassen
durch.
»Ihr müsst die Mendel’schen Gesetze verstehen«, erklärt die Steinbrede, »um die Vererbung beim Menschen zu begreifen. Diese Gesetze sind wichtig für das Verständnis von Reinrassigkeit.«
Sie hält ein Plakat hoch. Auf der linken Seite dieses Bildes ist in einer grünen Landschaft ein großes weißes Gebäude zu sehen, dem auf der rechten eine beschauliche Siedlung mit mehreren hübschen, kleinen Häusern gegenübersteht. Darunter steht links:
Erziehungsheim mit
130
Schwachsinnigen, Ausgaben jährlich rund
104
000
Reichsmark
, und rechts:
Dafür könnte man
17
Eigenheime für erbgesunde Arbeiterfamilien erstellen
.
Bereits vor den Sommerferien erhielten wir den Auftrag, Erbsen in
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