Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Töpfen zu Hause auf der Fensterbank zu züchten. Während der Ferienzeit sollten die Erbsen tüchtig wachsen und gedeihen.
Um es ehrlich zu sagen, die Erbsen interessierten mich nicht die Bohne. Hans und ich machten beim Einpflanzen nur Quatsch. Wir warfen sie hin und her, spielten Murmeln, bis sie alle weggekullert waren.
»O Gott, und was mach ich jetzt?«, rief ich in echter Verzweiflung.
»Besorg dir neue«, sagte Hans und lachte.
»Klar«, erwiderte ich, »aber welche? Gelbe oder grüne?« An jenem Nachmittag war ich mit Mathilda verabredet. Und als ihr Vater uns bei einer Tasse Tee Gesellschaft leistete, erzählte ich von meinem Problem mit den Erbsen.
»Die Mendel’schen Gesetze, so, so«, sagte er. »Und dir sind die Erbsen weggekullert.« Er lachte.
»Ja, und jetzt weiß ich nicht, welche Sorte ich züchten sollte. Wie ich die Steinbrede kenne, hat sie bestimmt genau Buch geführt. Wenn ich jetzt mit weiß blühenden Pflanzen komme und sie mir rote gegeben hat?«
Mathildas Vater schmunzelte, aber er dachte nach. Dann sagte er: »Als Arzt kann ich dir da eigentlich keinen Rat geben. Aber als Schüler war ich ziemlich findig. Nimm doch beide Sorten und pflanze sie in getrennte Tröpfe. Damit zeigst du Interesse und Fleiß.«
Also stehe ich jetzt nach den Ferien mit zwei Töpfen in der Schule, habe rot blühende und weiß blühende Erbsen und denke an diesen Nachmittag bei den Schuberts. Ein bisschen Wehmut schwingt mit, auch das Gefühl, dass es mit dem Sommer unaufhaltsam zu Ende geht.
»Das ist ja hervorragend.« Fräulein Steinbrede lobt mich. »Was denkt ihr, was passiert, wenn wir nun die Erbsenpflanzen mit roter und weißer Blüte kreuzen?«
»Rote Blüten mit weißen Punkten!«, ruft Gertrud in die Klasse.
Alle lachen.
»Oder wie wäre es mit rosa Blüten?«, fragt Hedwig.
»Gestreift, gepunktet, gesprenkelt …«, jetzt rufen alle durcheinander, bis die Steinbrede die Geduld verliert. »Wollt ihr wohl ernst bleiben?«, mahnt sie und klopft mit dem hölzernen Zeigestock auf das Lehrerpult. »Ich erkläre es euch: Die Kreuzung von Erbsenpflanzen mit roter und weißer Blüte bringt ausschließlich Erbsenpflanzen mit roter Blüte hervor …« Begriffe wie »Phänotyp, dominant, Parentalgeneration, erste Filialgeneration, rezessiv, reinerbig, mischerbig« schwirren durch den Klassenraum, und bald verstehe ich nur noch Erbse. Doch als wir dann ein »Vererbungsbrett« mit farbigen Karten anlegen, die die Generationen P, F1 und F2 darstellen sollen, wird es verständlicher.
»Und nur die Reinrassigen sollen erhalten bleiben«, betont die Steinbrede.
»Und die anderen?«, fragt jemand von hinten.
»Na, die Antwort liegt doch auf der Hand: Die anderen werden aussortiert.« Sie verteilt für die nächste Stunde Auszüge aus dem
Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
. Wir wiederholen noch die europäischen Rassen, und Fräulein Steinbrede schreibt groß an die Tafel:
Nordische (arische
*
) Rasse
.
»Wer sagt mir etwas dazu?«, fragt sie in die Klasse.
Ich melde mich. »Der nordische Mensch zeichnet sich vor allen anderen Menschenrassen durch charakterliche Stärke, Mut, Härte, Kühnheit, Unbeugsamkeit, eisernen Willen und Entschlusskraft aus.«
Hedwig ergänzt: »Und das alles macht das deutsche Volk zum Führervolk.«
»Richtig. Und genau deshalb sprechen wir über die Vererbungslehre, denn die Rasse liegt nicht in der Sprache, sondern ausschließlich im Blut. Es ist unsere heiligste Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass das Blut rein erhalten bleibt. Alles Unreine muss aussortiert werden.« Fräulein Steinbrede wächst bei diesen Worten förmlich empor.
Als wir später den Klassenraum verlassen, um in die Pause zu gehen, hält sie mich kurz zurück. »Ich bin sehr zufrieden mit dir, Paula. Du machst dich, und du bist ganz bei der Sache. Deine Noten werden immer besser. Weiter so.«
Ich freue mich über das Lob, doch plötzlich durchkreuzt Mathilda meine Gedanken, ich muss auf einmal an sie denken …
Immer wieder merke ich, wie klein meine Welt ohne Mathilda geworden ist. Ich habe alles. Und doch fehlt mir etwas.
5. Die Reihen fest geschlossen
Im Januar haben meine Eltern draußen vor der Stadt ein Stück Land zugeteilt bekommen. »Brachlandaktion« nannte es Dr. Meyer, der Gauleiter * Westfalen-Nord. Die Landbesitzer wurden aufgefordert, uns Städtern unbewirtschaftete Flächen zur Verfügung zu stellen, damit wir für den Winter Gemüse anbauen können. Auf unserer
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