Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
Vom Netzwerk:
benehmen.«
    Ich sage es nicht laut, aber mir gefällt die Musik. Sie hat Schwung, Rhythmus, ist ganz anders als die Marschmusik und die Lieder, die ich kenne.
    Wir schauen durch ein Fenster. Vielleicht zwanzig Jungen und Mädchen tanzen miteinander, Röcke fliegen, und Körper reiben sich mit verdrehten Bewegungen aneinander. Die jungen Männer tragen Anzüge mit breiten Revers, Krawatten oder Halstücher in den schrillsten Farben und Schuhe mit aufgedoppelten Sohlen. Ihr Haar ist lang und mit Pomade nach hinten frisiert. Sie tragen Hüte, entweder tief in die Stirn gezogen oder in den Nacken geschoben. Die Haare mancher Mädchen sind lang, und sie tragen sie offen. Andere haben kurzgeschnittene Bubiköpfe. Sie rauchen und trinken aus offenen Flaschen Wein, Sekt oder Bier. Die sehen so ganz anders aus als die Hitlerjugend. Als sich an der Eingangstür einige junge Leute mit »Swing Heil« begrüßen, platzt Werner fast der Kragen.
    »Hast du das gehört?«, flüstert er. »Die machen sich lustig über unseren Führer. Den Laden werden wir hochgehen lassen und die Bande aufmischen. Mal sehen, ob die dann auch noch so gute Laune haben.«
    Wir schleichen zu unseren Rädern zurück. Ein Saxophon-Solo durchdringt die Nacht und setzt sich in meinem Kopf fest.
     
    Meine Eltern warten schon auf mich. Sie sitzen beide am Küchentisch, meine Mutter mit dem neuesten Heft
Die Mode
und mein Vater mit dem
Münsterischen Anzeiger
. Es riecht gut nach Pfeifentabak und Pfefferminztee.
    »Na, Prinzessin, wie war’s? Habt ihr einen schönen Abend gehabt?«, fragt mein Vater augenzwinkernd.
    Ich gebe ihm einen Kuss. »Ja, Papa. Werner ist wirklich nett. Wir sind mit den Rädern herumgefahren.«
    »Einfach so?« Papa sieht mich über den Zeitungsrand an. »Das kann ich mir bei Werner gar nicht vorstellen. Der hat doch immer was vor.«
    Da durchzuckt es mich. Jetzt muss ich ja reden. Oder?
    Aber ich will keine Petze sein.
    »Na, was ist?« Mein Vater klopft mir auf die Schulter.
    Da rede ich: »Papa, ich glaube, Werner plant eine Aktion gegen Swingheinis. Er hat mir in Sudmühle einen Tanzschuppen gezeigt, in dem sich Jungs und Mädchen ziemlich ausgelassen vergnügten. Sie tanzten zu Swingmusik, rauchten und tranken und machten sich über den Führer lustig.«
    Papa lässt die Zeitung sinken.
    »Soso. Swingheinis, dieses Gesindel treibt sich also ganz offen in Sudmühle herum?«
    »Nein, nicht auf offener Straße, sondern in einer alten Scheune gleich hinter dem Wäldchen am Schwimmbad. Werner beobachtet sie schon länger.«
    »Hat Werner dir gesagt, dass du mit mir darüber reden sollst?«
    »Nein, er hat mich in sein Vertrauen gezogen und mich gebeten, zu schweigen. Er will mit der HJ die Sache selbst in die Hand nehmen.«
    »Gut«, sagt er. »Ich glaube allerdings, ich muss mich trotzdem kümmern.«

8. Ein neues Zimmer
    Es ist endlich Dienstag, und kurz vor siebzehn Uhr laufe ich los. Das nasskalte graue Wetter kriecht mir unter die Jacke. Es dämmert, und außer mir scheint niemand Lust auf einen Spaziergang zu haben. Mir ist das nur recht. An der Böschung des Löschteichs schaue ich mich um – die Luft ist rein.
    Mathilda erwartet mich. Sie ist blass und müde, die Augen dunkel. Und traurig sieht sie aus. Wir umarmen uns.
    »Da bist du ja endlich«, sagt Mathilda. Ich ziehe sie etwas tiefer ins Gebüsch. Versteckt zwischen den Zweigen setzen wir uns auf zwei dicke Steine.
    »Du hast geschrieben, dass etwas passiert ist. Ich habe mir große Sorgen gemacht. Erzähl, erzähl!«
    »Das ist … nicht so leicht«, stottert sie und sieht auf unsere ineinander verschränkten Finger.
    Ich spüre ihr Zittern. Sie weint und kramt nach einem Taschentuch.
    »Es ist … es geht um meine Mutter. Sie haben sie geschlagen. Sie war im Gefängnis.«
    Mein Atem stockt. »Sie haben sie geschlagen? Aber warum denn? Wie geht es deiner Mutter?«
    Nun bricht es aus Mathilda heraus: »Sie spricht kaum noch, schweigt in sich hinein, malt nicht mehr, sie ist gar nicht mehr bei uns.« Mathilda befreit ihre Hände und verbirgt ihr Gesicht darin.
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll, halte sie stattdessen einfach fest und streiche ihr beruhigend über den Arm.
    »Weißt du, Paula, wir wollten fort. Wir wollten Deutschland verlassen und nach Amerika ausreisen. Aber alles ist schiefgelaufen, und jetzt muss Mama sich verstecken.«
    »Was erzählst du denn da! Ihr wolltet weg? Aber warum denn?« Ich bin erschrocken, kann nicht verstehen, wie man gerade

Weitere Kostenlose Bücher