Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
mitnehmen wollen, zusammengestellt. Zwei Männer der Spedition tragen bereits Kisten und Möbel und wuchten sie auf die Ladefläche.
»Freust du dich schon?«, fragt mein Vater.
»Und wie!«, rufe ich. »Ich bin so gespannt auf mein neues Zimmer.«
Ein letzter Gang durchs alte Haus, und los geht’s.
»Darf ich vorne auf dem Kutschbock mitfahren?«, frage ich einen der Männer.
Er lässt mich neben sich sitzen und die Zügel halten. Wir fahren los. Ganz langsam und gemütlich ziehen die kräftigen Pferde den voll beladenen Wagen durch die Straßen.
»Brr!« Das Fuhrwerk hält vor unserem neuen Haus. Meine Mutter und mein Vater haben es schon von innen gesehen, aber Hans und ich noch nicht. Um die Wette rennen wir über den Kiesweg, den Treppenaufgang hinauf und durch die weit geöffnete Haustür in die Eingangshalle.
»Du brauchst gar nicht so zu rennen«, rufe ich Hans hinterher, der bereits die Treppe hochsprintet, »das Zimmer unterm Dach ist schon vergeben.«
»Das wollen wir doch mal sehen«, brüllt er und nimmt drei Stufen auf einmal.
Ich laufe ihm nach, denn ich habe noch keinen Blick für die anderen Räume, ich möchte erst mein Zimmer sehen.
Oben kommt mir Hans schon entgegen und zieht einen Flunsch. »Das Zimmer kannste behalten«, mault er, und gleich sehe ich, was er meint: Das Zimmer ist riesengroß, hell und eher weiblich eingerichtet. Eine hohe Stuckdecke, bunt eingefasst mit Rosen und Ranken, wölbt sich über mir wie aus einer anderen Welt. Sie wirkt weit und zauberhaft in diesem hellen Sonnenlicht.
Meine Mutter hat für mich einen großen Spiegel besorgt und am Schrank anbringen lassen. Ich ziehe mich gerne schick an oder flechte meine Haare. Da ist so ein Spiegel wunderbar. In der Mitte des Zimmers steht ein außergewöhnlich geschnitztes Bett. Wer sich das wohl ausgedacht hat? Ein Bett, so groß wie ein Schiff mit dunklem Blattwerk am Kopfende. Ich tanze durch den Raum, über dunkle Dielen und weiche Teppiche. Das alles ist wie ein Traum.
Mama steht im Türrahmen und sieht mir lächelnd zu. »Na? Hab ich dir zu viel versprochen?«, fragt sie, und ich schmiege mich in ihre Arme. Doch sie schiebt mich auf Armlänge von sich und sagt: »So, jetzt komm wieder mit nach unten. Die Wagen müssen ausgepackt werden, und Papa hat ja noch eine Überraschung für uns.«
Mein Vater erwartet uns im Salon. Das flache Paket liegt vor ihm auf dem Tisch. Er öffnet die zweite Sektflasche. Heute bekommt auch Hans einen Schluck.
»Auf unser neues Zuhause«, sagt mein Vater und sieht uns stolz an. »Ich muss nicht sagen, wem wir es zu verdanken haben, dass wir in dieses wunderschöne Heim einziehen dürfen …« Er steht aufrecht, den dankbaren Blick auf das Bild des Führers gerichtet.
Vorsichtig packt er nun das Paket aus und hält uns ein Gemälde hin. Es zeigt das Bildnis eines Mannes mit Malerkappe, dunklen Locken und einem buschigen Schnurrbart.
»Kennt ihr den Maler dieses Bildes?« Er erwartet offenbar keine Antwort, denn mit glänzenden Augen fährt er fort: »Das ist Rembrandt. Ein Selbstporträt. Ich habe es günstig bei einer Versteigerung ergattern können. Ist das nicht sagenhaft?«
9. Tausend Sterne
»Der erste Traum in einem neuen Haus geht immer in Erfüllung«, sagt mein Vater am Frühstückstisch. Lächelnd schneidet er eine Scheibe vom frischgebackenen Sonntagsstuten ab und legt sie mir auf den Teller. Dann nimmt er das Messer und köpft sein Ei. Wir haben jetzt zierliche Eierbecher aus weißem Porzellan. Es gibt Butter und selbstgemachte Marmelade, Leberwurst und Käse. Mama hat alles auf Tellern aus geschliffenem Glas angerichtet. Auf dem Tisch steht eine Vase mit frischen Blumen.
»Und?« Mein Vater sieht mich an und greift nach der Zeitung. »Möchtest du, dass dein Traum in Erfüllung geht?«
»Ich kann mich an keinen Traum erinnern! Ist das ein schlechtes Zeichen?« Ich habe nämlich nach dem Glas Sekt wunderbar geschlafen – tief und scheinbar traumlos.
»Nein«, sagt Mama und lacht, »wenn man seinen Traum nicht erinnert, ist alles möglich.«
Hans grinst. »Die träumt doch nur von Werner.«
»Quatsch!« Ich verdrehe die Augen. Mein Bruder kann manchmal so richtig blöd sein.
»Komm, Schwesterchen, gib’s zu! Du träumst davon, dass Werner dich ins Kino einlädt.«
»Schlaumeier. Das hat er schon längst.«
Mama guckt, als würde sie die Hochzeitsglocken läuten hören.
»So, so«, brummt mein Vater, »mit Werner ins Kino? Und unsere Erlaubnis brauchst
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