Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
genossen, seinen herrischen Mitbruder unter Miguels Blick einknicken zu sehen. Heute nicht.
»Nein, nein. Gesund und munter.« Miguel drehte sich zu Comitti. Seine Lippen bildeten tonlos das Wörtchen noch .
»Um welches Buch handelt es sich denn?« Miguel war die Hilfsbereitschaft in Person.
»Äh, das Lexikon der Heiligen, seltenes Stück. Würde ich normalerweise gar nicht ausleihen. Aber bei Comitti …« Pater Marco zuckte entschuldigend mit den Achseln.
»Da haben Sie eine Ausnahme gemacht. Kann ich verstehen.« Miguel lächelte. »Comitti, sagen Sie uns bitte, wo Sie das Buch versteckt haben. Sie besitzen ja kaum welche.« Miguel scherzte und zwinkerte Pater Marco verschwörerisch zu.
Comitti lächelte gezwungen. »Hinter dem Bett, in einer Jutetasche. Verzeihen Sie mir mein Säumen, Pater Marco, ich war auf Verwandtschaftsbesuch in Mailand. Ich hatte nicht die Zeit, es Ihnen rechtzeitig zu bringen.«
Pater Marco nickte und sah erstaunt zu, wie sich der Sicherheitschef um das Bett bewegte und nach dem gewünschten Buch suchte. Comitti nahm allen Mut zusammen. Er wusste, dass hinter dem Bett mehrere Jutetaschen standen. Miguel würde für kurze Zeit abgelenkt sein. Er griff in seinen Ärmel und zog ein Blister mit Kapseln hervor. So schnell, wie er es mit seinen leicht arthritischen Fingern bewerkstelligen konnte, drückte er eine Kapsel heraus, ließ sie in seine Hand fallen. Dann steckte er den Blister zurück in seinen Ärmel. Um das Knistern zu überdecken, räusperte er sich vernehmlich.
»Da haben wir es ja.« Miguel betrachtete das Buch liebevoll, strich über den Buchdeckel und blätterte vorsichtig die ersten Seiten auf. »Ein wirklich schönes Stück«, murmelte er. »Ich kann verstehen, dass Sie es persönlich zurückholen.«
Pater Marco nickte grimmig. Nun war er wieder in seinem Element. Er hatte sich auf dem Weg zu Comitti vorgenommen, ihm tüchtig die Meinung zu sagen, und das tat er jetzt auch. »Ich hätte dieses Buch normalerweise nie und nimmer aus den Händen gegeben. Comitti habe ich es geliehen, weil man sich bisher auf ihn verlassen konnte. Aber anscheinend ist es sinnlos, Ausnahmen zu machen. Selbst die Zuverlässigsten halten sich nicht mehr an die Ausleihfristen.« Er funkelte Comitti böse an.
»Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen, Pater Marco. Der Besuch meines Elternhauses in Mailand kam sehr überraschend. Ich hatte keine Zeit mehr, das Buch vorher zurückzugeben.« Comitti hoffte, dass der andere verstand. Doch ein Blick in die Augen von Pater Marco zeigte ihm, dass dieser nur über versäumte Leihfristen und säumige Mitbrüder nachdachte. Comitti seufzte.
Miguel half Pater Marco, den unhandlichen Folianten in ein Tuch einzuschlagen. Comitti nutzte diesen Augenblick: Er zog die beiden Kapselhälften über Miguels Weinglas auseinander. So einfach, wie er sich das vorgestellt hatte, war es allerdings nicht. Er zerrte an der Kapsel und hatte Angst, jeden Moment dabei entdeckt zu werden. Am Schluss zerriss er sie eher, aber das weiße Pulver rieselte endlich in die Weinneige, die Miguel stehen gelassen hatte. Comitti schenkte das Glas nach. »Ich bitte Sie noch mal um Verzeihung. Ich habe mich gleich nach meinem Aufenthalt in Mailand an Herrn Arconoskij gewandt«, plapperte er, um seine Nervosität zu überspielen. »Ich werde so bald wie möglich vorbeikommen und die Fristüberschreitung bezahlen.«
Comitti schielte zum Weinglas gegenüber. Es zeichnete sich kein verdächtiger Rand ab, wie er erleichtert feststellte.
Pater Marco, der immer noch im Türrahmen stand und das Lexikon wie ein Kind in seinen Armen hielt, schüttelte den Kopf und verabschiedete sich.
»Sie können gut Theater spielen, Comitti.« Miguel hatte die Tür geschlossen und verriegelt, bevor er es sich wieder im Sessel bequem machte. Comitti erbleichte. Hatte Miguel sein Handeln, sein Hüsteln, sein Weineinschenken durchschaut?
»Pater Marco ist darauf hereingefallen. Trotzdem war es ein Fehler, sich bemerkbar zu machen. Niemand sollte wissen, dass Sie sich im Vatikan aufhalten. Nun werden wir schneller lesen müssen.« Miguel lächelte süffisant »Machen Sie schon. Ihre Zeit läuft ab.«
Comitti standen Schweißperlen auf der Stirn. Er hob sein Glas. »Auf das Ende.«
»Ich trinke nicht auf ein Ende, das ich nicht kenne. Los jetzt.«
*
Wir stiegen den restlichen Weg hinab. Es dauerte lange, da wir kein Pferd mehr hatten. Jeder war in seine Gedanken versunken.
»Wohin wollen
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