Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
ließ die Männer fassungslos werden. Fast alle waren Familienväter. Wie sollten sie einem Kind den Kopf abschlagen? Wie es töten? Sie waren unschuldig. Ich muss Miguel zugestehen, dass sein Plan aufging: Die Männer zögerten nur einen Augenblick und waren verloren. Don Perondo rief Ermunterungen über das Schlachtfeld, ich sah, wie sein Schwert durch die Menge pflügte wie eine Sense über die Bergwiese. Während ich in seine Richtung sah, erblickte ich Miguel, der in sicherer Entfernung auf einem Rappen saß und das Getümmel betrachtete. Ich nahm ein Pferd, um ihn zu erreichen. Argyle hatte meine Bewegung gesehen und reagierte blitzschnell. Er schwang sich hinter mir in den Sattel.
»Wir müssen ihn ausschalten. Das ist unsere Chance.«
Wir ritten hinter Miguel her. Er verschwand in der Dunkelheit. Auf einmal hörten wir Hufschlag hinter uns. Don Perondo war uns zu Hilfe gekommen. Er ließ sein Pferd hinter unserem herstürmen und so verfolgten wir meinen Sohn zu dritt. Er ritt einen Pass hinauf. Ich fragte mich, wohin er wollte. Das Gelände wurde immer unwegsamer und rutschiger. Der Weg wurde steiler. Die Pferde keuchten. Vor allem unseres, das die doppelte Last trug. Schließlich mussten wir es zurücklassen. Miguels Pferd kam uns entgegen. Also war auch er zu Fuß weitergelaufen. Wir hasteten, so schnell wir konnten, hinter ihm her. Bald konnte Don Perondo mit unseren Kräften nicht mehr mithalten und fiel zurück. Ich sah Miguels Silhouette vor mir. Ich hatte nichts zu befürchten, ich hatte ihm nichts zu geben. Das Kriegsgeschrei, das aus dem Tal zu uns heraufschallte, wurde leiser, bis wir es nicht mehr hören konnten. Bald vernahmen wir nur noch das Knirschen unserer Schuhe, mit denen wir bereits durch Schnee stapften. Hatte Miguel ein bestimmtes Ziel vor Augen oder wollte er uns nur so lange in die Irre führen, bis der Tag erwachte und wir aufgeben mussten? Ich befürchtete genau dies und strengte mich noch mehr an. Ich hörte Argyle neben mir mit den Zähnen knirschen.
»Der entkommt mir nicht. Er ist allein. Wir müssen ihn vor Sonnenaufgang einholen.« Argyle hatte auf den dunklen Raum verzichtet. Er sprach laut und deutlich. Ich hörte, wie Miguel lachte. Sein Lachen klang unheimlich. Trotzdem stieg ich unbeirrt weiter. Da sah ich es. Miguel war stehen geblieben und neben ihm tauchte eine weitere Person auf. Ich fragte mich, wer das sein konnte. Wer stellte sich zwischen mich und meinen Sohn? Im Näherkommen erkannte ich den Mann, der neben Miguel Position bezogen hatte: Es war Khemais.
Im Gegensatz zu Miguel war er bewaffnet. Ich verstand. Es war eine Falle. Wir hatten Miguel nicht gejagt. Er hatte uns zu Khemais geführt.
»So, was jetzt, Mutter?« Miguel lachte.
Wir blieben wie vom Donner gerührt stehen.
»Deine Mutter, die Verräterin wird er gleich töten. Argyle aber …«, Khemais hielt in seiner Rede inne, weil ein Schatten an uns vorbei auf ihn zusprang.
Don Perondo löste sich mit gezücktem Schwert aus der Dunkelheit und versuchte, Miguel den Kopf abzuschlagen. Khemais reagierte, der Art der Vampyre nach, blitzschnell, und schlug ihm den erhobenen Arm ab. Was dann geschah, steht bis heute vor meinem geistigen Auge. Unauslöschlich.
Don Perondo fiel auf die Knie. Khemais holte zum finalen Schlag gegen ihn aus. Don Perondo konnte sich nicht mehr wehren: Sein Arm lag mit dem Schwert in der Hand zwei Meter von ihm entfernt. Er sah ungläubig hinter ihm her. Khemais’ Gesicht verzog sich zu einer Fratze, Miguel lachte und dann geschah es. Der Boden unter allen dreien gab nach. Es gab kein Getöse oder Rumpeln, nein, ein Knacken und Knistern, seltsam leise, durchlief die Oberfläche, dann gab sie nach und verschluckte Khemais, Miguel und Don Perondo. Erst dann hörte man Krachen und Tosen von Eisbrocken, die sich lösten. Das Rumpeln einer Lawine. Schnee stob auf und verschleierte unseren Blick. Wir hörten Schreie, auch Miguel und Khemais schrien. Allerdings aus Zorn.
Die abrupte Stille, die daraufhin folgte, war gespenstisch. Argyle und ich brauchten Zeit, um das Gesehene zu verstehen. Was war geschehen? War dieser Spalt schon zuvor da gewesen und nur von Schnee verdeckt gewesen? Hatte der Schnee aufgrund von Don Perondos Sprung nachgegeben?
Wir riefen nach unten und erhielten keine Antwort. Wir traten vorsichtig an den Spalt. Soweit wir sehen konnten, war er sehr tief und bestand aus Eis. Wir konnten keine Bewegung ausmachen. Noch immer polterten Eisstücke zum Grund der
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