Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Er weiß jetzt, wer du bist.« Paolina hatte Argyle an seinem Ärmel gefasst und hielt ihn zurück. »Wir brauchen einen Plan.«
Argyle schüttelte Paolinas Hand ab. »Ich brauche keinen Plan.« Argyle atmete heftig, dann holte er tief Luft und sprach ruhiger weiter »So viele Vampire sind schon durch meine Hand und ohne Plan gefallen. Ich hätte ihn damals töten sollen, als ich die Gelegenheit hatte. Dieses falsche Verständnis für die Zehn Gebote. Ich glaube nicht, dass ich mit diesem weiteren Mord in Gottes Ungnade fallen werde.«
»Wie willst du in den Vatikan hineinkommen? Wir haben nach Mitternacht. Es wird dich niemand einlassen.«
»Eine Einladung in den Vatikan habe ich schon lange. Zwar musste ich mir ohne Eichhörnchen behelfen«, Argyle deutete ein Lächeln an, »aber ein Fläschchen Rotwein hat schon so manche Tür geöffnet.«
»Ja, aber …« Paolina ließ nicht locker.
»Ich komme da rein, keine Sorge«, unterbrach Argyle sie.
»Dann werde ich Miguel ausfindig machen und ihn eliminieren. Ein für alle Mal. Danach wird es auch deinem Comitti wieder besser gehen, glaub mir.«
Argyle hob die Hand und war schon halb durch die Tür verschwunden, als Paolina ihn zurückrief.
»Pass auf dich auf, Vater.«
Argyle näherte sich dem Vatikan. Er hielt sich im Schatten auf, er verschmolz regelrecht mit ihm. Es war für ihn noch nie ein Problem gewesen, ungesehen in ein Gebäude zu gelangen. Schließlich tat er seit Jahren nichts anderes. Er begutachtete das riesige Areal. Wo waren die Unterkünfte der Pater, die ständig hier wohnten? Er entsann sich der Karten, die er gerade eben auf dem Laptop gesehen hatte, und sah die Häuserfassade hinauf. Fünfundzwanzig gleich große Fenster und ein Klingelschild mit fünfzig Namen verrieten ihm, dass es sich hier um das richtige Gebäude handelte. Er schlich darauf zu. Das Nächste, was ihm auffiel, war, dass die Alarmanlagen und die Überwachungskameras ausgeschaltet waren. Ob das mit der Seite, die im Internet nicht angezeigt werden konnte, zusammenhing, konnte er nicht sagen. Er nahm es an. Ein totaler Ausfall der Technik. So etwas kam vor. Alles hatte zwei Seiten.
Argyle bemerkte, dass man Wachen aufgestellt hatte. Er nahm an, dass es mehr waren als üblich. Er führte das auf die fehlende technische Unterstützung zurück. Die Männer waren ihm egal. Er beobachtete sie eine Zeit lang, und als er sich sicher war, wie sie ihre Runden drehten, nahm er Anlauf und kletterte die Fassade hinauf.
Für ihn als Vampir war das kein Problem. Seine Kräfte reichten dorthin, wo ein Sterblicher aufgegeben hätte. Er zog sich Armeslänge um Armeslänge hinauf. Die scharfen Kanten, die sich in seine Hände bohrten, schmerzten ihn nicht. Seine Arme brannten nicht vor Anstrengung. Er erreichte ein Fenster, das nur gekippt war, und öffnete es lautlos.
Als er in den Gang glitt – und er war froh, dass es ein Gang war und keine Zelle, in der ein Pater schlief – zuckte er zusammen und wäre um ein Haar rückwärts aus dem Fenster gefallen. Vor ihm hing ein imposantes Kreuz.
»Alles hat seine zwei Seiten«, knurrte Argyle mit fast geschlossenen Augen und schwang seine Füße auf den Boden. Das Linoleum unter seinen Sohlen quietschte. Er sah den Gang hinauf. Wo sollte er suchen? Zimmertür an Zimmertür reihte sich rechter Hand. Konzentriere dich , sprach er sich selbst Mut zu. Du kannst Miguel spüren. Er ist ein halber Vampir. Argyle hielt seinen Blick auf den Boden geheftet und schlich sich über den Gang. Er traute sich nicht, aufzusehen und sich umzublicken. Im Vatikan war damit zu rechnen, dass an jeder Ecke ein Kruzifix hing.
Ein grimmiges Lächeln stahl sich in sein sonst angespanntes Gesicht. Es war wirklich eine Ironie des Schicksals, dass er den Anblick des Kreuzes nicht ertrug. Er, der sich als Ritter Gottes sah, konnte ihn nicht in Kirchen besuchen. Er, der täglich fünfmal betete, der christlicher geblieben war als so mancher Christ. Er konnte an nichts teilnehmen, was ihm so viel bedeutete. Automatisch griff er zu seiner Kette, die er schon viele Jahrhunderte trug. Der kühle Stein, aus dem der Fisch geformt war, beruhigte ihn. Argyle blieb stehen und atmete tief durch. Er musste sich jetzt konzentrieren. Diese Gedanken störten nur. Er brauchte jetzt vor allem eins: seinen Killerinstinkt.
Sein hochsensibles Gehör ermöglichte es ihm, jede Bewegung und jedes Geräusch zu vernehmen. Er hörte nur Schnarchen und leises Gemurmel, sonst nichts. Im
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