Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
stritten auf Französisch.
Ich sah, dass Argyle einen Entschluss gefasst hatte. Den Kopf hebend rief er laut und deutlich: »Ich widerrufe meinem Glauben. Der christliche Gott ist einer von vielen. Ich werde den römischen Göttern opfern, um mich bei ihnen zu entschuldigen.«
Das erschütterte mich zutiefst. Ich sah, wie ihn diese Worte schmerzten, wie er im gleichen Augenblick lautlos die Lippen bewegte, und war mir sicher, dass er ein Gebet sprach. Er tat mir so leid, doch ich konnte mich immer noch nicht dazu durchringen, dasselbe zu sagen.
Laurentius nickte entschlossen und tat es Argyle nach. In der Menge wurden Stimmen laut, die die beiden lachend verhöhnten. Argyle und Laurentius wurden von ihren Fesseln befreit und zu einem Schrein geführt, an dem sie ein Räucherstäbchen vor einer römischen Gottheit entzündeten. Aus dem Publikum kamen Pfiffe und Rufe.
Ihrem Beispiel folgend, widerriefen im nächsten Moment weitere Christen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Sie hingen an ihrem Leben. Laurentius und Argyle waren ihnen ein Vorbild. Als sie sahen, wie leicht es war, zu widerrufen und keinen weiteren Schmerz mehr zu erdulden, taten sie es ihnen gleich.
Ich blieb, wo ich war, und dachte nach. Hatten die anderen recht, konnte jemand etwas mit meinen ausgeschlagenen Zähnen anfangen? Ich wurde unsicher. Aber ich wollte nicht widerrufen, wollte fest zu meinem Gott stehen. Da war noch etwas anderes. Ich wollte nicht mehr leben.
Man band mich los und führte mich zu den brennenden Scheiterhaufen, die in der Mitte des Platzes aufgerichtet waren. Ich wurde plötzlich so wütend, dass ich mich von den Henkersgehilfen losmachte und entschlossen auf den Scheiterhaufen zuging. Mein Zorn umfasste alles. Mein Leben, mein Vampyrdasein, die Ungerechtigkeit, die mich ein ganzes Leben lang begleitet hatte. Die einzigen Momente, an denen ich glücklich gewesen war, waren in Salvadors Armen gewesen. Ich wollte zu ihm. Er wartete schon so lange auf mich.
Ich hörte am Raunen der Menge, dass mein zielstrebiger Gang aufgefallen war. Es wurden in dieser Nacht viele Menschen gleichzeitig hingerichtet und das gaffende Volk hatte viele Szenen zu beobachten. Doch ich fiel durch meine Wut auf. Ich stimmte ein Lied an, in dem ich Gott pries und lobte, und schmetterte es, so laut ich konnte. So hatte ich mir meinen Tod nicht vorgestellt. Mein letzter Gedanke sollte Gott gehören.
Jetzt war mein letzter Gedanke, dass sich mein Vater und mein Ziehbruder irrten. Dass ich allein war. Ich marschierte wütend auf den Scheiterhaufen zu. Die Flammen schlugen mir bereits heiß ins Gesicht. Erste Brandblasen bildeten sich, als es im hinteren Teil des Platzes zum Aufruhr kam. Ich konnte nicht erkennen, was sich zutrug, da mir das Feuer und der Rauch die Sicht versperrten. Es interessierte mich auch nicht. Die rauchige Luft benebelte meine Sinne. Ich betete zu Gott, ich bereute noch einmal alle Sünden, meine Zweifel an Gott und seiner Gerechtigkeit. Meine zwei Morde. Ich war im Begriff, mich der Ewigkeit zu überantworten, als ich spürte, wie ich von hinten geschubst wurde. Ein süßlicher, bitterer Geschmack machte sich in meinem Mund breit. Das war das Letzte, was ich wahrnahm. Dann nichts mehr.
Hoffnung
»Wollen Sie, dass ich weiterlese?« Comitti sah von den Aufzeichnungen auf. Miguel war aufgestanden und stand am Fenster.
»Unbedingt. Jetzt wird es spannend. Ich muss schon sagen, meine Mutter hat eine Menge erlebt, wenn ich das so lapidar ausdrücken darf.«
»Das hat sie allerdings, wenn man den Aufzeichnungen Glauben schenken möchte.«
»Sie zweifeln noch immer an der Wahrheit? Comitti, kommen Sie. Sie sind doch ein intelligenter Mensch. Es gibt doch keinen Zweifel an dem, was Sie uns gerade vorlesen. Sie haben den Ausdruck von Sapera gelesen. Sie haben über meine Mutter gelesen. Also?«
Comitti rekapitulierte, was er gelesen hatte. Die heilige Apollonia hatte im dritten Jahrhundert gelebt. Das Lexikon berichtete, dass ihr vom Pöbel die Zähne ausgeschlagen wurden, bevor sie selbst für ihren Glauben an Gott in die Flammen sprang. Fest stand, dass es keinerlei Hinweise auf ihr Leben gab. Die Christenverfolgung war unter der Herrschaft von Kaiser Decius im Jahre 249 nach Christus erfolgt. Mehr gab es laut Saperas Computerrecherche nicht zu finden und zu berichten.
»Ja, das, was ich in Erfahrung gebracht habe, stimmt mit der Schilderung überein, das gebe ich zu. Aber was ich davon halten soll, dass weiß
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