Vellum: Roman (German Edition)
Frau, wenn sie gebärt. Kein Leinenschleier wird um ihren Körper gewickelt sein. Ihre beiden Brüste sind bloß; sie wird nackt sein – nackt, bis auf ihr dunkles Haar, das wie geflochtenes Schilf um ihren Kopf gewunden ist, die Herrin der Stadt der Toten.
»Der Name des Zielobjekts lautet Eresch«, sagt Metatron. »Sie ist gefährlich. Ich habe gesehen, wie sie nackt vor einem Engel kniete, sich die Brüste zerkratzte und schluchzte, sich die Haare mit den Wurzeln herausriss, nur um ihn mit einem einzigen Wort zu Staub zu zerschmettern, als er ihr schließlich nahe genug war.«
Es widerspricht allem, wofür der Konvent steht, das Küken und ihren Bruder nicht zu verpflichten, sie nicht zu binden, aber Eresch ist zu wertvoll, als dass er sie entwischen lassen könnte. Mochten sich die Unkin des Konvents auch Engel nennen und ihre Gegner Teufel – Metatron glaubt nicht an Gut und Böse, oder zumindest nicht an ›das Gute‹ und ›das Böse‹. Im Unterschied zu den Geschichten, im Unterschied zu den dunklen Flecken auf gebleichtem Papier ist die Wirklichkeit nie schwarz oder weiß. Sogar diese Zeichen, wie die Zeichen, die er auf den Seelen der Engel neu schreibt, sind nicht mit einer Tinte ausgeführt, die völlig schwarz ist, sondern nur von tiefstem Purpur.
Andererseits ....
Wenn irgendetwas als wirklich schwarz bezeichnet werden kann, das nicht das eigentliche Schwarz eines bodenlosen lichtlosen Abgrundes ist, dann die völlige Leere, die Eresch anstelle einer Seele hat. Wenn irgendetwas auf dieser Welt als böse bezeichnet werden kann, dann Eresch.
»Wenn sie weint, ach mein Inneres, dann weint mit ihr, ach euer Inneres«, sprach Enki zu dem Kurgarra und der Galaturra. »Wenn sie weint, ach mein Äußeres, weint mit ihr, ach euer Äußeres. Das wird ihr gefallen. Eresch wird euch anschauen und sie wird froh sein, euch zu sehen.«
»Aber ihr werdet sie nicht töten«, sagt Metatron. »Nicht sofort. Ihr werdet ihr sagen, dass ihr denselben Schmerz empfindet wie sie, denselben Hass, denselben Zorn. Ihr werdet ihr sagen, dass ihr euch den Heerscharen der Hölle anschließen wollt.«
Der Dunkelhaarige nickt und seine Lippen umspielt die Andeutung eines grausamen Lächelns. Für diese Mission ist er ideal; sogar noch bevor Metatron sich an ihm zu schaffen gemacht hat, verfügte seine Seele über herzlich wenig Einfühlungsvermögen. Seine Prägung bestand bereits ganz aus Geraden und spitzen Winkeln, und Metatron verknüpft nur das, was bereits vorhanden ist, zu feineren, dunkleren Schraffierungen, vertieft die Andeutungen von Schatten zu schwereren, bedrohlicheren Formen. Bei dem Blonden war das anders, er war das Feuer zu Pechorins Eis, aber Metatron, der vollkommene Künstler, weiß, dass er auch da gute Arbeit geleistet hat. Ewig mag das nicht halten, aber im Augenblick reicht es, und die Kreatur, die einst Jack Carter war, hat ein wildes Grinsen im Gesicht, so wild und wahnsinnig, wie Pechorin kalt und unbarmherzig ist. Ein Kurgarra und eine Galaturra, ein vernichtender und ein gnadenloser Blick, ein Psychotiker und ein Psychopath.
Eresch wird von ihnen begeistert sein.
»Wenn sie sich beruhigt hat«, sprach Enki zu dem Kurgarra und der Galaturra, »wird ihre Stimmung sich heben. Wenn sie euch ein Geschenk anbietet, dann bringt sie dazu, bei den großen Göttern den Eid zu schwören.«
Metatron tritt zurück, um sein Werk zu begutachten. Eigentlich hat er sie nur noch mehr zu dem gemacht, was sie bereits waren, für eine kleine Weile zumindest. In die Hölle will er schließlich nur Zeitsoldaten schicken. Nach einer Weile müsste das Band nachlassen und ihre eigentliche Prägung wieder durchkommen, aber es sollte lange genug halten, um Eresch zu täuschen, sie in dem Glauben zu lassen, dass es sich bei ihnen genau um die Sorte gefallener Seelen handelt, derer sie bedarf, um den Konvent zu stürzen.
»Eresch ist eine Göttin alter Schule. Wenn ihr sie dazu bewegen könnt, dass sie euch ihre Gastfreundschaft anbietet, dann kann sie euch nichts mehr ausschlagen, worum ihr bittet.«
»Hebt den Kopf«, sprach Enki. »Sucht nach dem Weinschlauch der an dem Pflock an der Wand hängt.« Und sie sagten: »Meine Herrin, reicht mir den Weinschlauch, auf dass ich aus ihm trinke.«
»Ihr werdet etwas entdecken ... nun, etwas, das einmal die kleine Messenger war. Darum bittet ihr. Sagt Eresch, dass ihr es nur auf das Mädchen abgesehen habt. Ihr seid ... durstig. Für einen solchen Durst hat sie
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