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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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abgelauscht — Scheißer und Hände hoch—, aber so kehlig und hässlich klingt es nicht. Latein oder Griechisch? Das glaubt er nicht. Er war sicher kein besonders guter Schüler und er hat es nicht einmal aufs Gymnasium geschafft, aber ihm ist trotzdem genug eingetrichtert worden, von seinen Lehrern und von Mad Jack Carter. Dem konnte man sich nur schwer entziehen, schließlich redete der die ganze Zeit von den Helden Homers. Und er hat genug verdammten Tatzitus und Vergilb gehört — so haben sie die Kerle genannt —, um zu wissen, dass es das auch nicht ist.
    Er weicht noch weiter vor ihm zurück. Wahrscheinlich nur Kauderwelsch, denkt er. Zu lange im Schützengraben gehockt und zu viel gesoffen und dann noch die Tracht Prügel — das erklärt so manches.
    Aber es beunruhigt ihn trotzdem, dieses sonderbare Gebrabbel voller fremdartiger Laute. Vor allem sind es zu viele — zu viele Laute, um aus einem einzigen Mund zu kommen.
     
    Ihm ist leicht übel und er hat Angst. Als er sich umdreht, bemerkt er, dass Krafft und Metzger direkt vor dem Unterstand stehen und auf ihn warten — sie zeichnen sich deutlich vor dem Hintergrund des Schützengrabens ab, massige Gestalten mit harten Ecken und Kanten. Die roten Baretts, der Lauf ihrer Gewehre, die sie am Riemen auf dem Rücken tragen — sogar ihre dicken Überzieher wirken kantig. Ihre Schultern sind fast eckig, und mit den Bügelfalten ihrer Schlaghosen könnte man Brot schneiden. Diese Männer bestehen nur aus geraden Linien, ohne eine einzige Rundung. Er wirft noch einen letzten Blick auf den Iren, der mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Boden des Unterstands liegt. Ein Arm baumelt an der Handschelle, ein Bein zuckt, als versuche er, sich im Traum aus einem aufgewühlten Morastloch zu ziehen. Und noch immer stößt er dieses grässliche Gemurmel aus. Wo bist du jetzt?, denkt Schmidt. Wo in deinem Kopf bist du jetzt?
    Aber das geht ihn nichts an. Er ist nur hier, weil Krafft ihn angeschnauzt hat, er solle die Handschellen aufheben, die bei der Prügelei in den Schlamm gefallen waren. Der Mann tut ihm leid, umso mehr, weil Krafft ihm die Handschellen bestimmt nur deswegen nicht selbst angelegt hat, damit er den starken Mann markieren kann, nachdem ihn ein betrunkener Kerl im Suff zu Boden geschlagen hat. Aber das geht Schmidt nichts an.
    »Raus«, sagt Krafft. »Keine Angst. Der geht nirgendwo hin.«
     
     
    Ein Netz aus Draht und Ketten
     
    Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort.
    »Du gehst nirgendwo hin«, sagt Henderson. Er hält Finnans Unterkiefer fest gepackt und schiebt seinen Kopf angewidert nach hinten, bevor er ihn loslässt, sich abwendet und davongeht. Der Widerhall seiner Schritte entfernt sich – Schuhe auf Beton – Plastik flattert – ein Streifenvorhang?
    Finnans Kopf rollt nach vorne, hängt kraftlos herab. Halb sinkt er in sich zusammen, halb sitzt er aufrecht auf dem Metallstuhl. Draht schneidet ihm in die Handgelenke. Er ist zu Schlingen gedreht und so straff festgezurrt wie die Garrotte um seinen Hals. Und um seine Fußknöchel. Sie haben ihn nicht nur einfach mit Hühnerdraht auf dem Stuhl festgebunden. Mit den Armen auf dem Rücken hinter der Stuhllehne ist er wie ein Tier in einem Netz aus Draht und Ketten gefangen, alles ineinander verschlungen und überkreuz, sodass er sich bei der geringsten Bewegung schneidet.
    Das Netz aus Draht bereitet ihm fast ebenso große Schmerzen wie seine Erinnerungen.
    Er hustet und stöhnt. Seine geschwollenen Augen öffnen sich gerade so weit, dass er den Fleischerhaken erkennen kann, der ihm in der Brust steckt, und den Salzkreis auf dem Boden – aber er versteht nicht, was er da sieht. Ein Teil von ihm denkt, verdammte Scheiße, da steckt ein Fleischerhaken in meiner Brust. Aber eigentlich ist er viel zu sehr mit dem Hämmern und Heulen beschäftigt, um von etwas so Nebensächlichem wie körperlichem Schmerz abgelenkt zu werden. Das hämmernde Heulen in seinem Kopf ist allgegenwärtig, und es wird immer lauter, es entfaltet sich jetzt erst so richtig.
    Es zwingt ihn, den Kopf zu heben, und seine Augen rollen nach oben, bis nur noch das Weiße sichtbar ist. Dann öffnet es ihm den Mund und kommt heraus.
     
    »O heilger Äther, schnellbeschwingter Windeshauch, euch rufe ich an! Ihr Stromesquellen, weithin flutendes Wellenspiel der lächelnden See! Dich Erde, Allmutter du, rufe ich an, und auch dich, allschauendes Rund der Sonne. Sehet den Fürsten. Sehet, was ich von Fürsten

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