Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan

Vom Netzwerk:

keine Gesetze und keine Einschränkungen mehr. Und nur wenn es ihnen passt, entlassen sie vielleicht diesen oder jenen Bruder, wie mich zum Beispiel. Warum rennen sie so verängstigt in Whitehall und Buck House herum? Haben sie Angst vor dem Feuer in unserem Blut, dem Feuer in unseren Händen, dem Feuer in unseren Augen?«
    Er holt Luft, um noch lauter zu sprechen.

    »Nieder mit ihnen!«
    Die Sechzigtausend brüllen es hinaus, die Fäuste hoch erhoben. Er hebt die Hände, mit den Handflächen nach außen, beruhigt sie.
    »›Was bringt das?‹, fragen sie mich da. ›Ist Ihnen nicht klar, dass der Krieg wichtiger ist als das Leben einer Handvoll Fenier? Ist Ihnen nicht klar, dass Sie nicht den Hauch einer Chance haben? Ist Ihnen nicht klar, dass‹ — und das hat er wirklich gesagt, der verdammte Schweinehund, in dem verdammten Schützengraben an der verdammten Somme — ›Ist Ihnen nicht klar, dass das ein schwerwiegender Fehler ist?‹«
    Aber vergessen wir das einmal für einen Moment, sagt Mad Jack Carter zu ihm, an jenem Tag vor drei Jahren. Himmel Herrgott, es kommt ihm vor, als wären es dreißig. Ich bezweifle nicht, dass Ihnen das alles ebenso ... unangenehm ist wie mir. Jeder macht Fehler, alter Junge. Wenn man zu viel von diesem Feuerwasser trinkt, tut man merkwürdige Dinge, Feldwebel, man sagt Dinge, die man gar nicht so meint. Und was er nicht aussprach, war trotzdem gegenwärtig, eine verborgene Botschaft, die sich hinter seinem besonnenen Äußeren verbarg. Die Armee wäre durchaus in der Lage, diesen einen ... Fehltritt zu übersehen. Ich könnte Sie sogar einfach laufen lassen, wenn Sie kooperativ sind.
    Er hätte das Arschloch auf der Stelle erwürgen sollen.


    Die Hämmer der ›Red Clyde‹

    »Ein schwerwiegender Fehler«, sagt Seamus. »Oh, aber es ist so einfach, auf den schwerwiegenden Fehler eines anderen hinzuweisen, wenn man selbst nicht zu denjenigen gehört, die dort unten in den Schützengräben festsitzen. Ein großer Fehler, der schwerwiegendste von allen. Ich will euch mal sagen, wer hier einen schwerwiegenden Fehler begangen hat — die Herrschaften selbst, alle miteinander! Wenn sie glauben, wir würden einfach alles hinnehmen, was sie uns angetan haben und was sie uns auch künftig antun werden, Brüder, dann machen sie einen schwerwiegenden Fehler. Eine ganze Generation haben sie in den Tod geschickt! Und wofür? Für leere Worte. Nichts, aber auch gar nichts haben sie denjenigen gegeben, die zurückgekommen sind. Nichts, außer Schmutz und Schande. Das war ihr schwerwiegender Scheißfehler.«
    Die Menge tobt vor Zorn angesichts all der Ungerechtigkeit. Und die Gerechtigkeit lauert hoch zu Ross in den Seitenstraßen, die Knüppel bereit, und scheint nur noch auf das Zeichen zum Angriff zu warten.

    »O ja, und ob ich einen schwerwiegenden Fehler gemacht habe! Ich wusste, was ich da tat, und ich habe meine Wahl getroffen, das streite ich nicht ab. Ich habe ihr Scheißgewehr wieder in die Hand genommen — nicht für sie, sondern für die Jungs, die in den Tod gehen würden.«
    Himmel Herrgott, er hätte nie erwartet, dass er für diese Lüge bestraft werden würde — dafür, dass er zu ihnen zurückgegangen ist, mit ihnen gelacht und gebetet hat, mit ihnen zusammen eine letzte Zigarette geraucht hat an jenem Morgen, als sie schweigend auf die Morgendämmerung warteten. Und Seamus saß da, müde und einsam, so verzweifelt, als sei er bereits unter dem fortwährenden Beschuss der Krauts über Stock und Stein gekrochen, um einen öden Hügel zu erobern, nur um sich dann umzudrehen, Stacheldraht im Leib — O Herr, nicht jetzt — und da lagen sie alle — nicht jetzt — hinter und unter ihm — Himmel — überall —

    »Warum?«, schreit er mit heiserer Stimme. »Für die Freiheit der Kleinstaaten? Oder für England, Englands Mammon und seine Fürsten?«
    Er lässt das Brüllen seiner Zuhörer anschwellen und wartet, bis es sich wieder ein wenig gelegt hat.
    Denn verdammt nochmal, läuft es nicht immer genau darauf hinaus? Die Hämmer des Hephaistos bauen die Maschinen, mit denen Mammon sein Reich regiert, dieses bestialische Imperium, das von ein paar hundert Herzögen, von gesichtslosen Lords und Ministern beherrscht wird.
    Er spricht jetzt leiser, mit der Stimme der Vernunft.
    »Aber Brüder, Genossen — lasst uns, wie sie so gerne sagen, auf den Boden der Tatsachen zurückkehren.«
    Er deutet nach rechts, in die Frederick Street und auf die dicht