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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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zu Anna gesagt, ich hab wirklich versucht, den Jungen zur Vernunft zu bringen ... aber da ist nichts zu machen.
    Und dabei blieb es auch.
    »Bevor also jemand ›Jack Flash‹ sagen kann, bau ich denselben Scheiß wie alle anderen und missachte den Rat meiner Mutter, lass mich als Soldat anwerben, bei den 7. Royal Dublin Fusiliers genau genommen, um für die ganzen Fürsten und Herzöge von Scheißengland zu kämpfen, die sich natürlich eins ins Fäustchen lachen, weil sie einen weiteren Fenier in den Tod schicken können. Für König und Vaterland habe ich gekämpft, verdammte Scheiße, als Scheißfeldwebel habe ich in der Scheißarmee gedient, und auf meinen Scheißbefehl hin haben die Jungs die Mannen des Kaisers abgeknallt, und die liegen jetzt in Frankreich in den pechschwarzen Tiefen der Scheißschützengräben begraben. Und was haben wir dafür bekommen, dass wir diesen Scheißtyrannen geholfen haben? Was war unsere verdammte Belohnung? Wie steht es um die ›Freiheit für die Kleinstaaten‹, wenn es um Scheißirland geht? Wie frei sind die Leute in den Internierungslagern?«
    »Es gibt eine Krankheit«, sagt der Arzt mit zurückhaltender Anteilnahme, »die mit Macht einhergeht, ein ... Mangel an Vertrauen.«
     
    »Sie wollen wissen, warum ich so scheißverbittert bin? Das kann ich Ihnen sagen.«
    Er beugt sich über den Schreibtisch und greift fragend nach dem Päckchen ›Woodbines‹, das dort liegt — darf ich? — und der Arzt nickt und hebt die Hand — aber gerne, bitte bedienen Sie sich.
    Er nimmt sich eine Zigarette aus der Schachtel. Der Arzt langt nach dem großen Tischfeuerzeug und hält es ihm hin. Seamus nimmt einen tiefen Zug.
    »Wisst ihr, hab ich zu den Jungs gesagt, wenn wir erst den Kaiser vom Thron gestoßen haben, wenn überall in Europa wieder Ruhe eingekehrt ist und jeder wieder ohne die Hunnen regieren kann, wenn die ganzen Orden verteilt sind, links, rechts und wer hat noch keinen — wer, glaubt ihr, wird sich dann um uns kümmern? Vielleicht kommt es denen gar nicht so ungelegen, dass die Besten, die Tapfersten und Kühnsten tot in den Scheißschützengräben liegen, denn dann machen sie immerhin keinen Ärger mehr? Nicht nur die verdammten Fenier, auch die Bolschewiken — alle, die wir für die ›Freiheit der Kleinstaaten‹ gekämpft haben, für die Freiheit der Schwachen von jeder Tyrannei. Aber warum zum Teufel haben wir nicht auch Freiheit verdient?«
    »Lloyd George hat versprochen, die Frage der Selbstverwaltung ein für alle Mal —«
    »So ein Quatsch! Vielleicht bin ich der Einzige, der das so sieht, aber ich habe es satt, für Ihre Scheißfürsten im Parlament zu kämpfen und für die Herzöge auf ihren Landsitzen. Wissen Sie, was für ein Verbrechen ich begangen habe? Ich habe versucht, Menschen vor dem Tod zu retten, vor Tod und Verdammnis.«
    »Sie sind mit einem Viktoriakreuz ausgezeichnet worden. Wie viele Verwundete haben Sie an jenem ersten Tag hinter die britischen Linien zurückgeschleppt?«
    »Scheiß drauf! Ich habe versucht, sie zu retten, indem ich ihnen die verdammte Wahrheit erzählt habe.«
    Er ist sich bewusst, dass seine Hand zittert. Zigarettenasche fällt in Zeitlupe herab. Diese Scheißmedaille. Herrgott, er weiß nicht mal mehr, wie er in seinen Schützengraben zurückgefunden hat, ganz zu schweigen von der Geschichte, er sei immer wieder hin und her gekrochen, die ganze Nacht hindurch, und habe die Verwundeten und die Toten zurückgeholt. Manchmal auch nur einzelne Körperteile. Sie behaupten, er sei immer nur ein paar Minuten weggewesen, er hätte jeden Soldaten sofort gefunden, wie eine Brieftaube, als wüsste er, wohin es jeden einzelnen von ihnen verschlagen hatte.
    »Scheiß drauf«, sagte er. »Ich hab schon drei Tage davor versucht, sie zu retten, und hab’s nicht geschafft. Ich konnte es einfach nicht. Ich wollte ihnen ... die verdammte Wahrheit erzählen. Und Sie fragen mich, warum ich verbittert bin, warum es mir das Herz zerreißt? Warum ich untröstlich bin und ein jämmerlicher Anblick dazu? Glauben Sie mir, daran sind Ihre verdammten Herzöge und all die Fürsten schuld, die nicht ein Quäntchen Mitleid im Herzen tragen. Diese Scheißquälerei ist eine Schande, die auf ihnen lastet.«
    Der Arzt schiebt seine Brille ein Stück höher und schließt die braune Mappe.
    »Ein Mann«, sagt er, »müsste ein Herz aus Stein oder Stahl haben, um ... um nicht mit Ihnen zu fühlen. Ich ... ich will nicht behaupten, dass ich ...

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