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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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dem Krieg. Natürlich wimmelt es in den Gesprächen nur so von Gerüchten über Vermisste und Aufstände, über die nicht enden wollenden Straßenkämpfe zwischen Anarchisten und Neonazis in Europa, über das blutige Grauen der Belagerung von Jerusalem, den Völkermord in Afrika. Doch nicht alles geschieht in beruhigender Ferne: die Übernahme ganzer Städte im mittleren Westen der USA durch Milizen, die Vertreibung der Moslems aus New York. Aber das Leben scheint seinen gewohnten Gang zu gehen.
    Niemand achtet auf den Wagen, der vor einer ausgebrannten Ruine anhält, einem ehemaligen Tattoosalon. Zwei Männer in schwarzen Anzügen und dunklen Sonnenbrillen steigen aus. Als einer von ihnen die Brille abnimmt, kommen leere Augenhöhlen zum Vorschein, in denen helle Flammen lodern. Niemand achtet darauf, wie Carter und Pechorin den reglosen Körper eines Jungen aus dem Kofferraum heben und ihn in das Gemäuer von ›Madame Iris‹ tragen. Auch der Tod ist anscheinend nicht aus dem Tritt geraten.
     
    Sie setzen den Toten auf einen Stuhl und treten einen Schritt zurück, bleiben reglos in den Ruinen des Gebäudes stehen, von dem nur noch schwarzer Backstein übrig ist. Staub hüllt sie ein. Sie gleichen Statuen in einem Tempel, wie sie da beiderseits ihrer stummen Bürde aufragen. In gewisser Hinsicht sind sie das auch – Gefäße aus steingewordenem Fleisch, Hüllen aus Haut, von Wesen getragen, die der Welt dort draußen so fremd sind wie die Toten in den Nachrichten aus fernen Ländern, fernen Zeiten. Die Bitläuse jagen durch ihre Körper, mit der Entwicklung zufrieden, die die Geschichte genommen hat. Thomas Messenger ist tot. Eresch ist tot. Und Carter und Pechorin, auch wenn sie noch durch die Gegend spazieren, sind ebenfalls tot. Für die Geister der Unkin, die vor über zehntausend Jahren gestorben sind und deren Seelen sich in Blut und Tinte und dem gemeinsamen Bewusstein der Nanogeschöpfe aufgelöst haben, ist das ein gewisse Genugtuung. Der Tod ist der natürliche Zustand, dem jedes Lebewesen zustrebt.
    Die Bitläuse ziehen sich aus den Körpern ihrer beiden Wirte zurück, die Flammen in Carters Augen flackern auf und erlöschen, und die beiden Körper fallen schlaff wie Lumpenpuppen in sich zusammen. Metatrons Speerträger haben ihren Zweck erfüllt. Sie werden nicht mehr gebraucht und also weggeworfen wie die Fleischklumpen, die sie sind – bloße Opfer kalter Berechnung, in der fortschreitenden Logik gefangen, die sie nicht zu verstehen vermochten.
     
    »Es kommt nicht darauf an, dass wir das verstehen«, sagt Pickering.
    Carter schluckt den Rest seines Ports hinunter und stellt das Glas auf die grüne Lederoberfläche des kleinen Tisches, der zwischen ihnen steht. Einer der Kellner nähert sich mit einem fragenden Blick, und Carter nickt, als der Mann nach dem Glas greift.
    »Noch eins, bitte. Dasselbe.«
    Er wendet sich Pickering zu. Er weiß nicht mehr, wie oft sie seit dem Waffenstillstand schon über diese Angelegenheit diskutiert haben. Anscheinend läuft es stets darauf hinaus, dass Carter immer und immer wieder dieselbe Frage stellt, wenn sie sich in ihrem Klub treffen. Er sucht nach einem Sinn hinter allem oder er versucht damit klarzukommen, dass es nie einen höheren Sinn gegeben hat, dass all die Ideale seiner Jugend mit den dreißigtausend Mann an der Somme gefallen sind, alle ein Opfer der ›Großoffensive‹. Pickering dagegen ist ein kaltes Aas, er redet immer davon, dass es notwendig gewesen sei, den Vormarsch des deutschen Militarismus aufzuhalten. Das ganze fade Geschwätz über das ›kleine Belgien‹ und die Pflicht der Starken.
    »Das kann ich nicht hinnehmen«, sagt Carter. »Tut mir leid, aber dieser ganze Mumpitz ist mir zuwider – von wegen, wir müssen das große Ganze sehen und es steht uns nicht zu, unsere Vorgesetzten zu hinterfragen; leg dich einfach auf den Rücken, beiß ins Kissen und denk an England.«
    Er hält inne, als ihm ein Bild durch den Kopf geht, nur flüchtig, und er räuspert sich und gestikuliert mit den Händen.
    »Hör zu, Pickering, wenn du oder ich keine Antwort auf diese Scheißfrage wissen, was glaubst du, denkt dann erst der Mann auf der Straße? Nachdem sie diese entsetzliche Hölle auf Erden überstanden haben und –«
     
    »Fehlt dir etwas, alter Junge?«
    Pickering beugt sich in seinem Sessel vor, stützt sich auf die Ellbogen, sichtlich erschrocken. Carter zittert und hört auch nicht auf, als der Kellner den Port aus der

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