Vellum: Roman (German Edition)
richtige Ausgang.«
Joey kommt wieder zu Jack zurückgelaufen, die Hände erhoben, die Handflächen nach außen, als befürchte er, Jack könne etwas Verrücktes tun.
»Die Wirklichkeit hat keinen Ausgang, Jack.«
»Und ob — und zwar jede Menge. Nur eben mit lauter Hütern. Schließlich können sie nicht zulassen, dass sich die Hunde losreißen und den Garten verwüsten.«
Der Anblick explodierender Treibhäuser
Sie stellen mich in einem verlassenen Bahnhof unter den Botanischen Gärten, schneiden mir den Weg ab, bevor ich den U-Bahn-Ausgang zur Kolonie erreiche. Während ich den Kiesweg entlangsprinte, in die Finsternis hinab, werden die Schatten vor mir plötzlich von Lichtstrahlen durchschnitten. Hinter mir schneiden weitere Lichtstrahlen die Dunkelheit in schmale Streifen. Ich sitze in der Falle.
Ich weiß, ich weiß, rede ich mir zu, ich hätte das ›Tropical Palace‹ nicht in die Luft jagen sollen — dann hätten sie mich nie gefunden. Aber dem Anblick explodierender Treibhäuser konnte ich noch nie widerstehen, je größer, desto besser, all die sirrenden klirrenden Glasscherben, die durch die Gegend fliegen wie glitzernde Sterne. So hübsch.
Das Knattern eines Maschinengewehrs setzt meinem Bedauern alsbald ein Ende. Die Kugeln schlagen direkt neben mir ein und ich springe in eine dunkle Nische, wo sich früher die Treppen zum Ausgang befanden, der jetzt zugemauert ist. In diese Richtung werde ich kaum entkommen können und in eine andere wohl ebenso wenig. Ich stürze mich in die Dunkelheit, knalle sie einen nach dem anderen ab, lösche sie mit meiner Qi-Pistole aus wie Ameisen unter einem Vergrößerungsglas. Aber ihre Zahl ist groß, und so schnell geben sie nicht auf. Als eine Kugel mir die Pistole aus der Hand prallt, bleibt mir kaum Zeit, die Katana zu ziehen, bevor sie mich erreicht haben.
Ich schalte auf Kendo um, das Schwert wird eins mit meinem Arm, der Arm eins mit meinem Willen. Kaum weiß ich, welche Bewegungen ich mache, während sich um mich herum Leichenteile auftürmen. Schließlich geht ein entscheidender Schlag ins Leere, ich verspüre einen scharfen Stich an der Schläfe, und alles wird weiß.
Scheiße, ist mein letzter Gedanke, schon wieder tot.
Scherben
Achtung: Objekt instabil. Identitätsstörung.
Operativer Vorgang: Nach Todesmetaphorik suchen; Instabilität & Fehlfunktion verstärken.
Imago:
Mit einem manischen Grinsen dreht er sich zu Joey um, die Brechstange in der Hand, ein schwarzes Loch im Herzen und Feuer im Kopf. Jetzt weiß er, wer er ist.
Operativer Vorgang: Psychischer Einschnitt; Erinnerungen offen legen; reiß dem Wichser den Arsch auf.
Erzählstrom aufgespürt:
Und es ist ein Sommertag, er sieht, wie Reynard in das Sonnenlicht hinaustritt, das durch seine Haare flutet und ihn blendet, sodass er den nahenden Tod nicht bemerkt, er wird angefahren, in die Luft geschleudert, über die Motorhaube des silberfarbenen Wagens hinweg, sein Kopf kracht auf den Asphalt, bei einem zufälligen Unfall dahingerafft, bar jeder Bedeutung mit Ausnahme der einen statistischen.
Imago:
Der Tod lässt seine Sense auf das Weizenfeld herabsausen, jeder Stengel oder jedes Korn ein menschliches Leben.
Imago:
Am Rand eines Grabes, ganz in Schwarz gekleidet, der Schatten eines Menschen, eine Leere, wo einst jemand war, der einen Zusammenbruch hatte.
Imago:
Über ein Waschbecken gebeugt, schmerzerfüllt, wäscht er sich das brennende Bleichmittel von der Kopfhaut, während er in den Spiegel starrt, wo er zum Abbild eines vermissten Jungen geworden ist.
Imago:
Er sitzt in einem leeren Zimmer, starrt die Wand an und pflegt seinen Hass auf die schiere Banalität des Alltags, in seinem Kopf hallen Schreie.
Imago:
Reynard steht auf der Straße, die nirgendwohin führt, ein Buch in der Hand.
Imago:
Jack steht auf der Straße, die in die Ewigkeit führt, die Brechstange in der Hand, von Engeln umgeben, die ihn anschreien, er soll die Finger von der Wahrheit lassen.
Operativer Vorgang: Paranoia ausnutzen; fokussieren; Name und Kontext herausfinden.
Es ist ein Jahr nach Guys Tod. Als Jack Carter den viktorianischen Bahnhof aus Sandstein, Stahlträgern und Glas verlässt und auf die Straßen einer Stadt hinaustritt, in eine Nacht, die im vulkanischen Schein der Straßenbeleuchtung schimmert, weiß er, dass er verrückt ist und in seiner ganz persönlichen Hölle allein. Sein Haar ist lang und strähnig, und in seinem Kopf wurde etwas Wildes von der
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