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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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dunkelhäutiges Volk. Ihr werdet es am breiten Fluss des Äthers finden, an den breiten Ufern und der weitläufigen Mündung des Flusses Nill, wo dieser seine süßen und heiligen Wasser von den Bergen herabschickt.«
    Sie mühen sich die steile Böschung am Flussufer hinunter, ihre Füße finden keinen rechten Halt auf dem Geröll. Immer wieder müssen sie ihre Zerspalter in den Boden rammen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Aus der Ferne dringt das Grollen des großen Wasserfalls zu ihnen, von jenseits der Stadt, wo der Nill über die Klippen brandet, ins ... Nichts. Über ihnen, auf dem Kamm der Böschung, zwischen den Silhouetten der Minarette und Kuppeln, zeichnen sich die funkelnden Lichter der Stadt vor dem dunklen Himmel ab. Gewaltige Eisenbrücken überspannen die Bucht. Weiter unten wird die Senke breiter, das Gefälle lässt nach und die Gebäude wagen sich immer weiter den Hang hinunter. Der eigentliche Fluss wird flacher und teilt sich in Bäche auf, die in mit Gittern gesicherte Abwasserkanäle unter den Straßen der Stadt verschwinden — der Stadt, die sich über dem Nilldelta erhebt. ›Baldachin‹ wird sie genannt, und das passt sehr gut zu ihr, wie sie sich über den verzweigten Fluss legt, ihn mit Steingewölben überdacht und die Mündung der Senke wie ein großer Damm verschließt. Irgendwo unter den Straßen fließen die Bäche wieder zusammen, und sie weiß, dass der Fluss auf der anderen Seite durch ein gewaltiges Schleusentor tost und sich endlich in die leere Ewigkeit ergießt. Die Stadt am Ende der Welt.
    Sie wirft einen Blick zurück auf den zusammengewürfelten Haufen, der ihnen folgt, ihre Nachkommenschaft, wenn man so will, ihre Kolonie. Insgesamt sind es fünfzig, alle dem Mädchenalter entwachsen, jede einzelne in ein Seidenhemdchen gekleidet und mit parfümiertem Haar. Manche weinen, weil ihnen die Füße wehtun — ihre Schuhe sind für diesen Boden nicht geeignet, sie tragen nur weiche Slipper wie eine Ballerina, wie eine Braut. Man sieht ihnen nicht an, wozu sie fähig sind, denkt sie. Nichts an ihnen verrät ihren Zorn, die gestillte Rache, die in ihnen schwelt, die Leichen, die sie in ihrem Ehebett zurückgelassen haben. Diese mädchenhaften Hände sollen sich in die Haare ihres Gatten verkrallt, einen scharf geschliffenen Dolch umklammert haben, mit dem sie ihm die Gurgel durchschnitten? Welch Verkörperung göttlicher Gewalt, eine mit Blut bespritzte Taube. Aber sie kennt die Wahrheit. Geschwisterkinder, denkt sie. Welcher Mann würde seine Töchter an die Söhne seines Bruders verkaufen?
    »Ihre Gesetze sind für uns nicht bindend, Prinzessin«, hatte Arkos gesagt. Dick und selbstzufrieden hatte er in seinem Zelt gesessen, während seine Neffen in lautloser Finsternis starben und sie dastand, den Zerspalter auf ihn gerichtet. Don hielt alldieweil draußen Wache. »Unter den großen Pharaonen war Inzest üblich«, hatte er gesagt. »Eine Dynastie reinrassiger Unkin zu gründen — denkt doch nur — ohne einen Tropfen Menschenblut, der ihre Adern verunreinigt hätte. Welch Reinheit! Es ist mir gleich, ob sie es wollen oder nicht. Sie werden mein königliches Volk austragen!«
    Und dann war der Zerspalter in ihrer Hand heiß und Arkos ein Häufchen Asche.
    Wie immer hatte sie das eigentlich gar nicht vorgehabt — sie war einfach mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, wo ein junges Mädchen zu ihr hatte kommen und sie anflehen können, sie müsse ihr helfen, unbedingt. Ich kenne deinen wahren Namen, hatte sie gesagt. Ich kenne deinen wahren Namen, Phreedom.
    Sie schaut sich um und ihr Blick gleitet über die Mädchen hinweg, die den Hang hinunterklettern. Nur eine von ihnen, die fünfte hinter Don, hatte sich nicht dazu durchringen können, sich mit Blut zu beflecken, ob aus Angst oder Liebe oder aus Widerwillen.
    Und gar nicht weit hinter diesen Täubchen sieht sie die Falken, Arkos’ Männer, sein Bruder und sein einziger überlebender Sohn. Don folgt ihrem Blick, dreht sich um. Er schaut sie an, dann ihre Verfolger, dann wieder sie und hebt den Zerspalter.
    »Geh«, sagt er.
    Geh, denkt MacChuill. Geh einfach. Jetzt gleich, bevor du es dir anders überlegst. Bevor Henderson beschließt, dir hier heraus zu folgen und dich zu dieser verfluchten Travestie eines Verhörs zurückzuschleppen. Mach einfach, dass du vor hier verschwindest, los! Einverstanden, aber wohin?, denkt er.
    Er schließt die Augen, lehnt sich an die Mauer des Schlachthauses und

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