Vellum: Roman (German Edition)
mit dir?«
Ich sage nichts, küsse nur seinen Hals, sein Kinn, seine Lippen.
»Was ... ist passiert?«
Ich küsse seine Lippen, sein Kinn, seinen Hals, seine Brust. Seine rechte Hand macht sich an meinem Gürtel zu schaffen.
»Dann erzähle es mir eben hinterher.«
»Bist du wach?«, fragt Jack und küsst die Innenseite meines Oberschenkels. »Tom?«
»Noch nicht«, murmle ich ächzend und strecke mich. »Himmel, jetzt könnte ich eine Dusche gebrauchen.«
Wir liegen im Schlafzimmer des teuren Strandhauses, in einem extragroßen Bett ohne Matratze, auf einem Haufen dicker Decken, Teppiche und Kissen, die Jack nur wäscht, wenn ich ihn dazu zwinge. Sein Zimmer ist noch leerer als meins, wie überhaupt das ganze Haus; die Couchtische aus Glas und Mahagoni, die früher einmal hier standen, sind längst verschwunden, die verchromten Frühstückshocker und gerahmten abstrakten Gemälde und was nicht alles. Ich stelle mir vor, dass hier ein Architekt gewohnt hat, bevor die Welt verrückt spielte — er hat sein Strandhaus selbst entworfen — klare Linien und klassischer Modernismus. Minimalistisch, streng, wie Jack manchmal.
Er schnieft, schnüffelt an mir wie ein Hund.
»Ich finde, du riechst gut ... süß und sexy ... der kräftige Geruch des Lebens.«
»Wie charmant.« Flüchtig küsse ich seine Hüfte, dann drehe ich mich um, sodass ich ihm in die Augen schauen kann. »Du bist ein echter Romantiker, Jack.«
Er lacht.
»Hör auf mit dem Scheiß.«
Er reibt die Nase an der meinen, und ich streiche ihm das Haar aus der Stirn.
»Also, willst du jetzt reden?«, fragt er. Ich hole tief Luft und schließe die Augen.
»Der Lumpensammler hat mich zur Abrechnung zu sich bestellt. Er wird sein Urteil über mich sprechen.«
Jack schließt mich in die Arme.
»Es gibt keinen Grund, warum du ein schlechtes Gewissen haben solltest«, sagt er.
»Ist das hier etwa nichts? Herrgott, Jack, das ...«
»Das geht ihn rein gar nichts an.«
»Alles geht ihn etwas an.«
Ich rutsche von ihm weg, schwinge die Beine über die Bettkante und setze mich auf.
»Was kann er dir schon tun?«
Da wird mir bewusst, dass er noch nie bei einer Abrechnung dabei war — nicht, wenn es ernst wurde. Oh, er hat mitbekommen, wie der Lumpensammler das Guthaben der Leute zusammenrechnete, ihren Wert für die Gemeinde; wie er Gesundheit und moralisches Verhalten gegen die finanziellen Verhältnisse abgewogen hat. Vielleicht hat Jack auch einmal gesehen, wie der Lumpensammler einer Frau den Kredit verweigerte, die dabei ertappt wurde, wie sie über ihre Nachbarn gemeine Gerüchte in Umlauf brachte; oder einem Mann, der in Gegenwart seiner Kinder einmal zu oft geflucht hatte; oder vielleicht hat er ja miterlebt, wie ein junger Kerl, der beim Trinken ertappt worden war, auf dem Karren des Lumpensammlers zur Schau gestellt und durch die Stadt gefahren wurde, während die Karrenglocken ein riesiges Spektakel veranstalteten. Ich allerdings habe sehr viel mehr gesehen.
Dem Lumpensammler haben wir alles zu verdanken: Wir haben ihn gebraucht, damit er uns hierher führte, und wir brauchen ihn noch immer, um zu überleben. Ohne den ganzen Plunder, den er aus der Stadt herbeischleppt — parfümierte Seifen und belgische Schokolade, Schmerzmittel und edle Weine, Porzellantassen, Kaffeekannen, antike Uhren und Antiseptika —, hätte wohl keiner von uns länger als das erste Jahr durchgehalten.
Was die Einstellung der Leute hier betrifft, besteht Endhaven aus Liberalen; jeder hat seine eigenen vagen Vorstellungen von richtig und falsch, aber jeder akzeptiert den Vertrag des Lumpensammlers, nimmt hin, dass unser aller Leben von seinen und nur von seinen Moralvorstellungen bestimmt wird. Er wägt unseren Wert ab und verteilt Güter nach Verdienst. Er spricht das Urteil über uns, und wie einen Priester oder einen Richter betrachten die Bewohner von Endhaven ihn voller Furcht und Respekt. Manchmal hassen sie ihn, wie ein getretener Hund seinen Herrn hasst. In der Zeit nach Blakes Verschwinden und vor Jacks Eintreffen hatte es richtig Ärger gegeben, und der Lumpensammler hatte sein hartes Urteil über all diejenigen gesprochen, die die Hand bissen, die sie fütterte. Was er mir schon tun kann?
»Was kann er mir nicht tun?«, sage ich. »Er ist Richter und Geschworene in einem und ... und er hat beschlossen, dass ich vor Gericht gestellt werde.«
Vergessen lernen
»Alle haben Angst vor ihm, nur du nicht«, fahre ich fort.
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