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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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immer mit demselben schwarzen Motorenöl verschmiert und mit dem Fett, mit dem er seine schmutzig blonden Haare anklatscht. Er ist klein und dünn, aber seine Muskeln sehen aus, als bestünden sie aus Stahltrossen, jede Muskelfaser zeichnet sich unter der straffen Haut seiner Arme ab, regt sich bei jeder Bewegung, wenn er an irgendeinem seiner neusten Projekte arbeitet.
     
    »Das ist der Dämon in mir«, hat er ein paar Mal im Spaß zu ihr gesagt, aber sie ist sich nie sicher, wie ernst er es tatsächlich meint. »In mir haust etwas«, sagt er, »das anscheinend mein ganzes Körperfett auffrisst.«
    Sie ist überzeugt, dass sich hinter dem Spaß noch etwas anderes verbirgt. Finnan ist von einer Atmosphäre umgeben, von einem Gefühl ständiger Nervosität, ständiger Zurückhaltung, als brauchte er seine ganze Energie dafür auf, sich zu beherrschen, damit er nicht Gott weiß was tut. Und sie hat ihn besser kennengelernt, in den Nächten, wenn sie sich zu dritt einen reinzogen, als Tom noch da war oder wenn sie ihm nachgejagt ist, in den Monaten, nachdem ihr Bruder verschwunden ist, in dem Bemühen, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten – und sie begriff immer mehr, dass er in gewisser Hinsicht überhaupt nicht spaßte.
     
    Wir haben alle etwas von einem Dämon in uns, denkt sie, und etwas von einem Engel. Finnan hat ihr das mit der Prägung erklärt und behauptet, dass jeder ... fähig sei, den Cant in sich zu entdecken, eine verschlossene Tür in seinem Kopf zu öffnen und ihn freizulassen. Sie dachte, er spräche in Metaphern, bis er ihr eines Tages die Hand hinhielt, sie zur Faust ballte, sie wieder öffnete, um ihr die Handfläche zu zeigen, und sie dann rasch wieder schloss. Vielleicht war es ein Zaubertrick, aber für einen Moment sah die Narbe echt aus – seltsam geformt, als sei sie mit einer Messerspitze hineingeritzt. Sie hatte sie nicht genau gesehen, aber einen Blick auf etwas erhascht, das in etwa die Umrisse eines Auges hatte, eine Ellipse mit einem Kreis darin, mit vier kleinen Hubbeln am äußeren Rand.
    Dann öffnete er die Hand wieder, und weg war es, und zurück blieb nur die raue Haut des Arbeiters. Er schloss die Hand wieder, ließ seine Muskeln spielen und betrachtete seinen Arm, als gehöre er nicht zu ihm.
     
    Und jetzt, in diesem Augenblick, sieht sie seinen Armen die Anspannung an, den verkrampften Muskeln und vortretenden Adern, als er seine Zigarette fortschnippt, während er mit der anderen Hand das Stahlrohr umklammert, das ihm als Stab dient. Oben auf dem Rohr ist eine Fernsehantenne angebracht, nach unten hin ausgerichtet, die Querstange mit Ketten und Glücksbringern behängt, mit Stacheldraht umwickelt und mit einem Puppenkopf aus Plastik gekrönt. Finnan hält das Ding mit weißen Knöcheln, als befürchte er, sonst den Verstand zu verlieren. Er nennt es seinen ›Zerspalter‹. Magie für die Fernsehgeneration, sagt er, für eine elektronische Welt der Nanotechnologie und Simware. In Haut und Knochen und Friedhofserde steckt Medizin, ganz klar, aber man muss mit der Zeit gehen. Der Cant ist schon mächtig genug, wenn man ihn jemandem ins Ohr flüstert; und heutzutage, dank der Bitläuse – Nanoüberwachungssysteme, die mit dem Wind, den wir atmen, herangetragen werden – , ist der Cant noch stärker als ein Flüstern in deinen Gedanken.
    Sie weiß nicht, womit er angetrieben wird, aber Finnans Zerspalter summt leise, wenn er ihn hält und man ihm nahe genug ist. Wie jetzt.
    »Nun denn«, sagt er. »Guten Morgen, Wirklichkeit. Lasst uns hineingehen und miteinander reden.«
     
     
    Das Buch der Namen
     
    »Es gibt nichts, worüber wir reden müssten«, sagt der Engel.
    Er und Finnan sitzen an dem kleinen Resopalesstisch in Finnans Airstream; beide trinken direkt aus der Flasche, der eine Wasser, der andere Bier. Sie stöbert im Kühlschrank herum, auf der Suche nach einer Coke, beobachtet die Männer jedoch die ganze Zeit über aus den Augenwinkeln und horcht konzentriert auf das, was sie sagen.
    »Dein Name steht im Buch«, sagt der Engel.
    Sein in Leder gebundenes ›Buch‹ – ein Palmtop der zehnten Generation in raffiniertem Design – steht vor ihm auf dem Tisch, aufgeklappt und eingeschaltet. Über den Bildschirm scrollt, Reihe um Reihe, eine Folge von vier verschiedenen Schriftzeichen in scheinbar willkürlicher Anordnung, und sie muss an ein Bild denken, das sie einmal in einem Dokumentarfilm gesehen hat, eine computergenerierte Graphik aus lauter A und T

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