Vellum: Roman (German Edition)
ihm standen, bestimmte er ihr Schicksal. Er rief den ersten zu sich und hieß ihn gehorchen – wohin auch immer ihr gemeinsam marschiert, werdet ihr nicht euresgleichen haben –, sprach zu dem zweiten – brenne wie ein Gott des Feuers, lodere wie eine Flamme –, sagte zu dem dritten – du, mische dich unter sie, pirsche dich mit dem wilden Angesicht des Löwen an sie heran, und alle, die dich sehen, werden vor Entsetzen zu Boden fallen –, sprach zu dem vierten – Berge werden vor dem fliehen, der deine wütende Waffe trägt –, befahl dem fünften – wehe wie der Wind bis ans Ende der Erde –, wies den sechsten an – schreite durch Himmel und Erde und verschone nichts auf deinem Weg. Den siebten versah er mit Drachengift und sagte nur dies: Lösche alles Lebende aus.
Metatron sieht sich um, betrachtet die sieben Marmorsäulen seines Urkundensaals – nichts als ein leeres Plateau, das sich auf allen Seiten bis zum Horizont erstreckt. Jede Säule verfügt über ihre ganz eigene Prägung, ein in Stein gemeißeltes Zeichen.
Sieben Sebettu gab es und sieben Ugallu, wie es auch sieben Planeten und sieben Tage gab. Sieben Weise waren es, die aus dem Fluss nach Sumer kamen und Wissen und Zivilisation aus einer fernen Welt sonderbarer Gottheiten mit sich brachten, aus den Bergen, in denen Enlil, Herr Windeshauch, seinen Sitz hatte, oder aus dem Abgrund – dem Abzu –, der großen Meerestiefe, wo Enki, Herr der Erde, wohnte, am Ursprung aller Flüsse der Welt, wie es hieß. Sieben Anunnaki gab es, sieben Richter der Unterwelt und sieben Waffen der Gottheit Nergal, in späteren Mythen als Erra bekannt, den Griechen als Ares, Gott des Krieges – Waffen, die gleich Menschen aufrecht gingen und sprachen. Der Name an sich bedeutete schlicht die ›Sieben‹. Die Sebettu.
Sieben gegen Theben, denkt Metatron. Sieben Samurai. Die glorreichen Sieben.
In der ägyptischen Mythologie haben Menschen nicht nur eine Seele; sie haben sieben, sieben Persönlichkeiten, sieben Archetypen, die zusammen erst ein Individuum ergeben.
Zu siebt waren sie gewesen, damals, als sie im Ur der Chaldäer zusammenkamen, um gemeinsam den Konvent zu beschließen: Rapiu war ein Heiler aus Akkad, während Mika aus Syrien stammte; Adad hielt sich zu dieser Zeit in der Nähe von Haran auf, unter den Hethitern. Raphael, Michael, Azazel. Die anderen stammten von irgendwo im Mittleren Westen. Uriel, Fabriel – und Sammael, bevor er ... ersetzt werden musste. Und Metatron natürlich. Metatron, der einst ein Gott namens Enki gewesen war, der einst ein Mann namens Enosch gewesen war, bevor er jenen Teil aus sich herausschnitt, der noch menschlich war.
Sieben Erzengel. Sieben gedungene Mörder. Ein eingespieltes Team. Es war immer gut, sie im Krieg auf seiner Seite zu wissen.
Er hatte immer geglaubt, sie könnten hinter den Kulissen arbeiten, Verträge und Gesetzbücher anregen, Verhandlungen und Bündnisse, insgeheim ein Reich schaffen ... und Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, Gnade und Weisheit. Und einer nach dem anderen erkannten ihre Herren, wer wirklich die Macht in Händen hielt, wohin sich die Dinge entwickelten, und entweder machten sie sich auf den langen Weg ins Vellum, in ein Dasein, das nur aus Träumen und Erinnerungen bestand, oder sie legten selbst den Eid ab. Sie knieten vor dem Thron nieder und ließen zu, dass er ihre Prägungen erneuerte, sie auf einen Archetypus verpflichtete, ein Me , eine neue Identität mit einem neuen Schicksal. Und Metatron veränderte sie behutsam, lenkte ihre Persönlichkeit in diese oder jene Richtung, modellierte ihre Seelen, sodass sie nicht länger auf ihren eigenen Ruhm bedachte Götter waren, die selbst über Macht verfügten, sondern Diener einer größeren Macht, Engel der himmlischen Heerscharen.
Und wenn sie in die Welt hinausgingen, so gingen sie als einer der Sieben.
Die Sieben, die jetzt in ihren blutigen, schmutzigen Rüstungen vor ihm stehen, blicken alle drein wie hechelnde Hunde mit schlechtem Gewissen, weil sie sich mit irgendeinem unschuldigen Geschöpf einen größeren Spaß erlaubt haben, als ihnen zusteht, und die das auch wissen. Zwei von ihnen sind vorgetreten, die bei weitem blutrünstigsten und dreckigsten. Nur ein klein wenig arroganter als die anderen, stechen sie durch etwas mehr Individualität hervor. Andererseits hat jedes Team seine Stars, und dieses ist keine Ausnahme: Gabriel und Michael, deren man sich bedient, wenn man ganze Städte in
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