Vellum: Roman (German Edition)
Angehörigen seiner Koalition wissen, dass sie auf der Seite der Engel stehen, oder ob die Handvoll Dämonen, die hinter diesem chaotischen Cocktail sich bekriegender Terroristengruppen und Fraktionen stecken, tatsächlich miteinander verbündet sind oder ebenso untereinander verfeindet wie mit den Westmächten; irgendwie scheint ihm das zu offensichtlich, zu einfach, um wahr zu sein. Ebenso wahrscheinlich ist, dass es auf allen Seiten Unkin des Konvents und der gegnerischen Auserwählten gibt, welche die zunehmende Anarchie und die Gräueltaten nutzen, um unbemerkt ihren eigenen Krieg zu führen. Aber Thomas wird nicht dableiben, um das herauszufinden.
Er lässt die Karte von Madame Iris’ Tattoosalon in die Tasche gleiten, holt eine Packung Zigaretten hervor und zieht eine heraus.
Der dunkelhaarige Freund steht an der Bar, um noch ein paar Bier zu trinken, und der löwenartige Jack sitzt da, den Blick in die Ferne gerichtet. Mit seinem kantigen Kinn gleicht er ganz dem Typ, der sich für einen Krieg der Ideale verpflichten lässt, und Thomas kann nicht anders, er begehrt ihn. Er rutscht aus seiner Nische und schlendert langsam hinüber, um ihn nach Feuer zu fragen. Jetzt, solange sein Freund hier ist, wird nichts passieren, aber vielleicht kommt er mit ihm ins Gespräch, ein stillschweigender Hinweis auf eine mögliche Entwicklung. Er muss Jacks unterdrücktes Verlangen nur soweit reizen, dass er später wiederkommt.
Er sieht aus, als fühle er sich unbehaglich, aber auf Thomas’ Bitte hin nickt er – ja, gerne – und kramt in der Tasche. Er zieht sein Zippo hervor, schnippt es auf und lässt es auflodern. Thomas hält die Hand des Burschen fest, während er die Zigarette anzündet, erwidert ruhig seinen Blick und lächelt.
»Danke ... äh?«
»Jack«, sagt der Bursche. »Jack Carter.«
Keine Götter mehr
Sie trugen graue Schmelzrüstungen wie alle Engel, aber da sie so hager waren, wirkten sie in ihnen wie Skelette. Die schwarzen schrägen Augenblenden auf den Masken unterstrichen ihr gespenstisches Aussehen noch – sie erinnerten Thomas an Skulpturen, die er auf einer Ausgrabung in Predionica gesehen hatte, sonderbare Köpfe mit mandelförmigen Augen, geraden Nasen, scharf geschnittenen Gesichtern, ausgesprochen fremdartig in ihrer feenhaften, katzengleichen Anmut. Wie aus paläolithischem Mammutelfenbein geschnitzte Vogelfigurinen waren sie mit filigranen Wellen- und Spiralmustern und Sonnensymbolen verziert; und die langen, stahlharten Silberwaffen, die sie trugen – ein Mittelding zwischen Armbrust und Lanze – wirkten, wie auch die eleganten, gewaltigen Äxte aus den Gräbern und Höhlen, viel zu groß, um anderen als rituellen Zwecken zu dienen.
Thomas schlang die Arme um die Knie, nackt und zitternd.
»Warum?«
»Keine Götter mehr«, sagte die Kreatur – er, sie oder es. »Keine Bündnisse und Fehden mehr, keine Königshäuser, Dynastien ... und Ruhmeshallen mehr.«
Die Kreatur ging kurz in die Hocke, um die Ketten um Thomas’ Hände zu begutachten, packte sie wie Zügel mit beiden Händen, prüfte ihre Stärke. Sie schob seinen Kopf zur Seite, um den Eisenring zu prüfen, den er um den Hals trug, und nickte zufrieden.
Dann strich sie ihm mit den Spitzen ihres Panzerhandschuhs über die Brust, folgte dabei dem Mal auf ihrer Haut, dem Mal des Unkin – sein Name, seine Geschichte, in der Sprache der Götter geschrieben. In der Sanftheit seiner Berührung schien fast ein Begehren zu liegen.
Die Kreatur hob die Hände, um den Helm abzunehmen, und betrachtete ihn unter einem Schopf zerzauster blonder Haare hervor mit kristallblauen Augen.
»Dumuzi ... Tammuz ... Thomas«, sagte sie.
»Du kannst dem, was du bist, nicht entkommen«, sagte der Engel. »Und du bist wie ich. Du magst dich für ein menschliches Wesen halten und davon träumen, ein Mensch zu sein, aber in Wahrheit bist du nur ein Werkzeug ... eine Waffe.«
Er flüsterte ein Wort, und mit einem Schauder spürte Thomas, wie sich die Wirklichkeit um sie herum veränderte, sah, wie der Engel plötzlich in einem schwarzen Anzug vor ihm kauerte, nicht mehr in der grauen Rüstung, und dann in einem grauen Uniformrock mit goldenen Epauletten, in einem karierten Hemd.
»So ist es, ein Unkin zu sein«, sagte der Engel. »Glaubst du wirklich, wir könnten dich frei herumlaufen lassen?«
Thomas wandte sich von ihm ab, blickte westwärts, wo auf der anderen Seite der Felder ein Fluss verlief, wo am
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