Velten & Marcks - Mordfall Tina Hofer (German Edition)
das getan hat, hat sich nicht sonderlich bemüht, die Sachen vorher noch einmal durchzusehen. In der Kiste landete alles, was auf ihrem Schreibtisch lag oder sich darin befand. Unter den Sachen haben wir einen Briefumschlag gefunden, der ihr an ihrem Todestag zugestellt wurde. Das Datum des Poststempels ist noch deutlich zu erkennen.“
„Was war darin?“, fragte Velten aufgeregt.
„Auf den ersten Blick nichts.“
„Verdammt noch mal, mach es nicht so spannend“, herrschte er sie an. Nina legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. „Entschuldige bitte“, sagte er zerknirscht.
„Schon gut. Jemand hatte ihr einen Brief geschickt, den wir tatsächlich nicht finden konnten. Allerdings war die Tinte noch feucht, als der Absender das Schreiben in das Kuvert gesteckt hat. An der Innenseite des Umschlags haben sich Teile des offenbar sehr kurzen Textes spiegelverkehrt abgebildet. Wir konnten die Zahl zweiundzwanzig und einen Teil des Wortes Pfaffenwiese rekonstruieren. Die Vermutung liegt nahe, dass sie mit diesem Schreiben um zweiundzwanzig Uhr zur Baustelle des Industrieparks gelockt wurde.“
„Das ist ja nicht zu glauben?“, sagte Velten atemlos. „Aber es werden doch Hinz und Kunz den Kuvert in der Hand gehabt haben. Wie könnt ihr sicher sein, das Erbgut des Absenders unter all den DNA-Spuren noch identifizieren zu können?“ Plötzlich fiel ihm die Antwort auf seine Frage selbst ein: „Die Briefmarke!“
„Stimmt genau. Damals gab es noch keine selbstklebenden Postwertzeichen. Der Absender hat die Marke angeleckt und aufgeklebt. Er hat nicht ahnen können, dass es heute problemlos möglich ist, DNA aus seinem Speichel von der Rückseite einer Marke abzunehmen und zu identifizieren. Am Montagmorgen werden wir das Ergebnis haben und können es dann mit den Verdächtigen abgleichen.“
„Vor nicht allzu langer Zeit konnte auf diese Weise ein anderes Tötungsdelikt aus den Neunzigern aufgeklärt werden“, ergänzte Philip Germann. „Anhand von Speichelresten auf einer jahrzehntealten Briefmarke konnte der Mörder einer damals Siebzehnjährigen mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu sechzehn Billiarden identifiziert werden.“
Susanne sah auf die Uhr: „Nun gut, weiter werden wir heute wohl nicht kommen. Max, wir brauchen dringend den Rechner von Tina Hofers Vater. Die Disketten aus ihrem Nachlass sind nicht mehr zu gebrauchen. Die Kopien der Daten auf dem alten Computer sind unsere letzte Hoffnung.“
„Kein Problem. Ich wollte morgen Vormittag sowieso in die Redaktion fahren. Ich packe den Computer ins Auto und bringe ihn am Montag bei dir vorbei.“
Nina sah ihn von der Seite an: „Dir ist schon klar, dass morgen Sonntag ist, oder?“
„Natürlich, aber ich muss mit Katja den Showdown mit Roland Dubois vorbesprechen.“
Susanne lachte: „Frau Jost, lassen Sie ihm das bloß nicht zu oft durchgehen.“
Nina hatte den Schock, den ihr die Fotos von Lukas versetzt hatten, einigermaßen verarbeitet und konnte schon wieder lächeln: „Ein Familienmensch wird er wohl nie werden, aber ich habe es ja nicht anders gewollt.“
- - -
„Unfassbar, dass jemand Lukas auf dem Schulweg fotografiert und Nina die Bilder in den Briefkasten gesteckt hat. Wer macht denn so eine Sauerei?“ Katja war empört.
Velten hatte sie am Sonntagmorgen zuhause abgeholt und ihr auf dem Weg ins Büro von dem Erpressungsversuch erzählt. Er schloss die Tür auf der Rückseite des Gebäudes auf und ließ ihr den Vortritt.
„Vielleicht der Gleiche, der auch Tina auf dem Gewissen hat. Wir nehmen die Drohung deshalb sehr ernst. Nina achtet darauf, dass Lukas erst einmal nicht alleine draußen spielt. Außerdem darf er in der nächsten Woche mit der Erlaubnis seiner Mutter die Schule schwänzen. Sollte sich die Aufklärung der Sache länger hinziehen, will sie Lukas sogar vorübergehend in die Obhut seines Vaters geben, der in Frankfurt lebt. Natürlich hoffen wir, dass es dazu nicht kommen wird.“
Sie stiegen schweigend die Treppe hoch. Das Pressehaus war am Sonntag natürlich völlig menschenleer. Außer ihren Schritten war kein Laut zu hören. Als sie in den unbeleuchteten Flur einbogen, der zu den Arbeitsräumen der Lokalredaktion führte, blieb Velten abrupt stehen. Vom Ende des Ganges drang ein diffuses Licht aus einem der Zimmer.
„Die Tür zu unserem Büro steht einen Spaltbreit offen. Merkwürdig, oder?“
Katja zuckte die Achseln: „Wahrscheinlich hat die Putzfrau sie nicht abgeschlossen. Das
Weitere Kostenlose Bücher