Venedig sehen und stehlen
wie ein Brett, als wir ihn zu diesem ›Molino Stucky‹ abtransportiert haben.«
»Wann setzt die Totenstarre denn ein?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Zoe, wir sind Kunstdiebe und keine ….«
»Harry, wir sind keine Mörder. Es war dieser killerkarp. «
Außer dem Fisch gab es im Kühlschrank noch eine Zitrone, Senf und Kapern. Zoe hatte schon recht. Sie mussten wenigstens eine Kleinigkeit essen. Sie hatten heute Abend noch so einiges vor. Harry mischte aus den restlichen Zutaten den Aufstrich für ein Tramezzino.
»Ob die Totenstarre schon einsetzt hat? Ich mag sie nicht berühren. Harry, bitte fass du sie an.«
»Zoe, nicht jetzt.«
»Ich hab mal gelesen, es beginnt an den Augenlidern.«
Zoes Frage war berechtigt. Wie lange war der Körper der toten Francesca überhaupt beweglich? Wie lange hatten sie Zeit, bis die Totenstarre einsetzte, die einen Transport in jedem Fall erheblich erschweren würde?
»Sollen wir sie überhaupt einpacken?«, fragte Harry. »Vielleicht brauchen wir das gar nicht. Wir könnten sie zu zweit zwischen uns nehmen und abtransportieren.«
»Wir haben noch Giovannis Boot«, fiel Zoe ein.
Sie hatten es die ganzen Tage nicht benutzt. Aber vor der Tür lag dieses kleine Boot, das sie benutzen konnten. Sie hatten die Schlüssel für den Motor, und irgendwo lag bestimmt auch noch der Zettel, auf dem sich neben den erschöpfenden Instruktionen aller Lichtschalter und Gashebel auch ein Kapitel über den Bootsmotor fand.
»Bevor wir auf Bootstour gehen, sollte ich mir den Kahn vorher mal ansehen, ob genug Benzin im Tank ist.«
Auf der Gasflamme röchelten die nächsten Tassen Espresso durch die Kanne.
»Nur, wo wollen wir überhaupt mit ihr hin, wenn wir Franca im Boot haben.« Harry hatte noch keine Idee.
»Wieder auf das Industriegelände, wo ihr diesen Carlo vergraben habt?«
»›Molino Stucky‹? Bitte nicht noch einmal. Aber Beat hat neulich von einer einsamen Insel in der Lagune erzählt«, fiel Harry ein.
Zoe leckte sich genüsslich einen kleinen Rest der Fischpaste aus dem Mundwinkel.
»Es ist eine verlassene Insel mit einem stillgelegten Sanatorium.« Er schenkte sich und Zoe den nächsten Espresso ein und holte den Venedig-Stadtplan.
»Sacca Sessola! Das muss es sein.«
»Sounds good« , sagte Zoe kauend.
»Es liegt ein ganzes Stück hinter der Giudecca, Richtung Chioggia. Erst San Clemente und dann hier, Sacca Sessola.« Er zeigte auf den kleinen Punkt auf dem Stadtplan. Die Insel zu erkunden, war keine Zeit mehr. Sie mussten sich heute Nacht unbedingt auch noch um das Bild kümmern. Aber wenigstens das Boot wollte er inspizieren.
Es war eine kleine Nussschale, kleiner, als Harry das in Erinnerung hatte, und kleiner als das Boot von Maldini, mit dem er vorhin vor der Polizei geflohen war. Eigentlich war nur für ein oder zwei Personen Platz. Es würde reichlich eng werden. Aber dann mussten sie eben etwas zusammenrücken.
In der Gasse war es ausnahmsweise mal ruhig. Ein Stück entfernt, auf der gegenüberliegenden Seite, ging eine Gruppe von Touristen chic gemacht zum Essen. Den Motor musste man mit einem Seilzug anwerfen. Harry brauchte etliche Versuche. Schließlich sprang der Außenborder mit einem Spucken an. Harry stand in einem Benzinnebel. Aber die Kiste schien zu funktionieren. Er ließ den Motor kurz laufen, drehte ein paar Mal an dem Gasgriff, dann drückte er die Motorstopptaste. Eine kleine Abgaswolke entschwebte über den Kanal Richtung Rio di San Felice. Ein letzter Sonnenstrahl strich glitzernd über das brackige Wasser und fiel auf ein paar grellgrüne Algenbärte, die von den unteren Treppenstufen neben der Bootswand ins Wasser hingen. Es war weit und breit niemand zu sehen. Trotzdem sollten sie mit ihrem Vorhaben unbedingt warten, bis es richtig dunkel war, fand Harry.
Als er in die Wohnung zurückkam, war Zoe in dem Fauteuil der venezianischen Sitzgruppe aus dem zwanzigsten Jahrhundert selig entschlummert. Die drei doppelten Espressi waren chancenlos gegen Francescas K.-o.-Tropfen. Eine Weile konnte er sie ruhig schlafen lassen. Aber gleich würde er sie brauchen. Den Transport von Franca würde er nicht alleine schaffen.
Er zündete sich eine Chesterfield an. Sein Blick fiel immer wieder auf Franca. Die Wunde zwischen Hals und Brust fiel kaum mehr auf. Mit den zerrupften blond gescheckten Haaren erregte sie bei Harry eine Mischung aus Ekel und Mitleid.
Draußen war es mittlerweile fast dunkel geworden. Durch die Vorhänge kam kein
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