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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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lange, kunstvoll geschwungene, spitze Schwanzflosse, wie ein präzise geführter Messerstich, direkt neben Francas Schlüsselbein von oben in ihren Brustkorb bohrte.
    Franca japste kurz, riss Augen und Mund auf, als wollte sie protestieren, doch dann erstarrte ihr Gesicht, fror ihr Erstaunen ein. Auf einmal war es vollkommen still.
    Zoe schien schlagartig hellwach zu sein. »Good Lord« , hauchte sie fassungslos.
    Harry starrte entsetzt auf das groteske Bild, das sich ihm bot. Es sah wie eine verunglückte Jongliernummer im Zirkus aus. Der schillernde Karpfen balancierte leicht schwankend über Francescas Schlüsselbein. Aus der Wunde quoll Blut, zunächst unregelmäßig, wie vom Herzen gepumpt, bildete Harry sich ein, dann gleichmäßiger. Francesca blickte sie mit weit aufgerissenen Augen an, fassungslos angesichts ihres Schicksals, in Giovanni-Dieters Apartment von einem Murano-Karpfen erdolcht worden zu sein.
    Zoe fand als Erste die Sprache wieder.
    »Ich kann diesen Blick nicht sehen«, sagte Zoe. »Harry, please. «
    Zögernd näherte sich Harry der toten Frau. Er wollte sie nicht anfassen, aber schließlich überwand er sich und drückte Franca die Augen zu. Ihr Gesicht fühlte sich ganz normal an, wärmer als seine Hände. Auf ihrer linken Wange prangte wie ein Stempel der Ravioliabdruck, der inzwischen seine Farbe gewechselt hatte. Er hätte ihr auch gerne den Mund geschlossen, aber irgendwie brachte er das nicht fertig.
    In der Stille war auf einmal das Zischen aus dem Boiler deutlich zu hören. Harry bildete sich ein, das ausströmende Gas zu riechen.
    »Verdammte Scheiße, wir fliegen hier noch in die Luft«, raunte er Zoe leise zu.
    »Dann hätten wir ein Problem weniger«, sagte Zoe mit einem süffisanten Grinsen. Doch dann wurde sie gleich wieder ernst: »Harry, was machen wir mit ihr? Sie kann doch nicht hier liegen bleiben. Schon gar nicht mit diesem Viech im Hals.«
    Damit hatte Zoe natürlich recht. Harry schaute gedankenverloren auf die tote Franca. Auch wenn es ein ganz blöder Unfall war: Den schnieken Commissario Lompo und seinen schnauzbärtigen Ispettore konnten sie schlecht rufen. Die würden Harry kein Wort glauben. Die gute Francesca musste hier verschwinden, und zwar ganz schnell und ohne den Karpfen im Hals. Sollte er den Fisch einfach aus dem Hals herausziehen? Die Wunde hatte inzwischen aufgehört zu bluten. Es mussten wohl innere Blutungen gewesen sein, die Francas schnellen Tod herbeigeführt hatten. Harry schluckte. Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen, griff den Glasfisch und zog vorsichtig daran. Die lange Schwanzflosse saß fest in ihrem Hals und ließ sich nur zentimeterweise bewegen. Die geschwungene Form hatte sich wie ein Widerhaken hinter ihrem Schlüsselbein verklemmt. Er nahm den Fisch in beide Hände und zog kräftiger. Nachdem er einen Widerstand überwunden hatte, ließ sich das Glasteil mit einem leisen Schmatzen herausziehen. Es hinterließ einen gar nicht mal so großen, sauberen Schnitt. Zähflüssig trat etwas Blut aus der Wunde.
    Harry stellte den Karpfen auf den Boden. Vergeblich kämpfte er gegen die aufsteigende Übelkeit und den Brechreiz an. Jetzt fiel ihm auch auf, wie brütend heiß es in dem Apartment war. Vorher hatte er das gar nicht so wahrgenommen.
    Die tiefer stehende Sonne warf lange Schatten über den Steinboden. Zoe zog in der Wohnküche den Vorhang zu. Eigentlich hätte Harry die Fenster lieber geöffnet. Von dem Haus auf der gegenüberliegenden Kanalseite aus war die tote Franca vermutlich nicht zu sehen.
    Aber sicher war sicher. Die Helligkeit, die von draußen immer noch durch die zugezogenen Vorhänge fiel, tauchte den Raum und die tote Franca, die immer noch die »Kolibri« in der Hand hielt, jetzt in diffuses warmes Licht. Alle Konturen verschwammen. Nur Giacomettis »Stehende Frau II«, das Original, behielt ihre klaren Umrisse, die kargen brüchigen Linien, die an der Hüfte ein paar Zentimeter frei stehenden Arme. Harry fühlte sich beinahe an eine Biennale-Performance erinnert.
    In der Wohnung wurde es immer stickiger. Die Kokos-Limonen-Mixtur von Francas Parfüm roch jetzt muffig. Harry versuchte, tief durchzuatmen, aber es half nicht viel. Nach einem dürftigen Frühstück hatte er den ganzen Tag praktisch nichts gegessen. Er spürte, wie sich sein Magen um die kläglichen Reste eines Schinkenpanino zusammenzog. Er stürzte zur Toilette. Er musste immer wieder würgen, aber sein Magen war leer. Die Magensäure brannte in seinem

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