Venezianische Verführung (German Edition)
würde sich zusammenreißen, wie sie es Leandro versprochen hatte.
Sior Santinos Blick glitt abschätzend über sie. Aurora nahm schnell auf ihrem Stuhl am Fenster platz und musterte ihn von der Seite. An seinen Schläfen blitzte dunkelblondes Haar hervor. Auch sein Gesicht war dick gepudert und mit Cochenille auf Mund und Wangen geschminkt – im Gegensatz zu Leandros Gesicht, das nur einen Hauch von Puder aufwies.
»Darf ich Ihnen Wein anbieten, meine Liebe?« fragte Leandro, der in Gesellschaft meist auf die förmliche Anrede zurückgriff.
Aurora schenkte ihm ein ebenso förmliches Lächeln. »Danke, nein.« Wein auf heißer Schokolade empfand sie nicht als empfehlenswert.
Leandro wandte sich an Sior Santino. »Sie waren noch nicht fertig mit ihren Ausführungen über die französische Malerei.«
Sior Santino winkte ab. »Kommen wir darauf ein andermal zu sprechen.
Sofern die Ehe zustande kommt, werden wir ohnehin häufiger miteinander zu tun haben.«
Leandro lächelte. »Ich denke, Aurora wird sich auch für François Lemoynes Werke interessieren. Sein ›Narziss‹ ist Ihnen ein Begriff?«
»Gewiss kenne ich den ›Narziss‹«, sagte Sior Santino. »Ich bezweifle allerdings, dass eine Frau sich für die höheren Künste interessiert.«
Seine Worte klangen so abfällig, dass er in Auroras Beliebtheit weit nach unten sank.
Mit offenem Mund starrte sie ihn an.
»Aurora malt selbst und das nicht schlecht«, sagte Leandro. Sie blinzelte ob des Lobs von unerwarteter Seite.
Sior Santino blickte sie und Leandro von oben herab an. »Zwischen selbst malen und Kunst besteht ein Unterschied.«
»Meine Definition von Kunst trifft es.« Leandro verzog die Lippen zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. »Ich würde jederzeit Auroras Gemälde in mein Zimmer hängen.« Er zwinkerte Aurora zu, die daraufhin errötete. Sie wusste, in welche Richtung diese Anspielung ging.
»Sie sind nicht ich.« Sior Santino lächelte selbstgefällig. »Ein sittsames Eheweib hat sich mit derlei Dingen nicht abzugeben. Es ist seine Aufgabe, den Haushalt zu führen, die Kinder großzuziehen und sonst nichts.«
Leandro tippte mit den Fingerspitzen an sein Weinglas. »Gewisse geistige Gaben bei Frauen sind nicht von Nachteil.«
Sior Santino starrte ihn düster an. »Ich denke, dass die Künste sie nur auf dumme Gedanken bringen. Sie sollen sich auf ihre Aufgaben konzentrieren.«
Aurora starrte Leandro an. »Sie denken, Frauen sind zu dumm dafür, auch andere Interessen zu haben?«
»Das habe ich so nicht gesagt.« Santino sah sie von oben herab an.
»Aber Sie deuteten es an.«
»Ich denke, dass Weiber dafür ungeeignet sind. Lassen Sie uns lieber über Ihre Aufgaben in meinem Hausstand sprechen. Erstens wäre dies die Verwaltung der Vorräte. Die Köchin wird Ihnen dabei selbstverständlich zur Hand gehen und Ihnen Ratschläge geben. Auf Ihre Unwissenheit nehmen wir Rücksicht.«
»Sie wissen gar nichts über mich, nicht wahr? Ich half bereits im Alter von fünf bei der Hausverwaltung, kurz nachdem meine Mutter verstorben war. Weder bin ich unwissend noch ungebildet und schon gar nicht eine Frau, deren geistiger Horizont sich nicht über ihre Suppenschüssel hinaus erstreckt.« Auroras Stimme hallte laut durch den Raum. Der Sior Santino sah sie erschrocken an.
»Aurora, beruhige dich bitte.«
Aurora starrte Leandro an. Sonst redete er sie in Gesellschaft nicht mit »du« an. Er wirkte ein wenig blass unter seinem Puder, während das Gesicht des Sior Santino eine rötliche Färbung annahm.
»Sehen Sie, Sior Currado, das meinte ich damit. Weiber haben ihre Gefühle nicht im Griff. Ihre Triebe beherrschen ihren Verstand.«
Aurora erhob sich. »Jetzt reicht es mir. Ich lasse mich nicht beleidigen.
Diese Ehe gehe ich nicht ein. Wenn Sie ein Dummchen suchen, sind sie an der falschen Adresse.«
Der Sior Santino starrte sie entgeistert an. Er wandte seinen Blick zu Leandro. »Damit dürfte sich mein Anliegen erledigt haben.«
»Das will ich hoffen.« Aurora schenkte ihm ein grimmiges Lächeln und stolzierte aus dem Raum.
Erst als sie die Tür ihres Zimmers hinter sich verschlossen hatte, atmete sie auf. Es reichte ihr endgültig. Sie würde sich nicht zur Ehe zwingen lassen, schon gar nicht mit derartigen Personen. Aurora schrieb einen Brief. Sie hatte einen Plan.
* * *
Es ist das geringere Übel, dachte Aurora. Zumindest bestand in dieser Verbindung wenigstens die Möglichkeit, dass sich Liebe daraus
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